Sitzung: 12.03.2021 Jugendhilfeausschuss
Beschluss: zur Kenntnis genommen
Sachverhalt:
Die drei
Fachbereiche des Jugendamtes 31 a, b und c stellen auf Grundlage des
Geschäftsberichts 2020 besonders hervorzuhebende Aspekte des vergangenen Jahres
vor:
·
Kindeswohlgefährdung in Zeiten der Pandemie (FB 31a)
·
Jugendkriminalität (FB 31a)
·
Eingliederungshilfen (FB 31b)
·
Fallzahlentwicklung Hilfen zur Erziehung
·
Familienbildung und Familienstützpunkte (FB 31c)
·
Neuorientierung in der Jugendhilfeplanung (FB 31c)
Debatte:
Herr Adler
berichtet für den Fachbereich 31a, Sozialpädagogische Dienste:
Die häufigste
Frage im Jahr 2020 im Fachbereich 31a drehte sich um Kindeswohlgefährdung und
häusliche Gewalt. Führen die coronabedingten familiären Einschränkungen zu mehr
innerfamiliären Konflikten? Sowohl die statistischen Zahlen für den Landkreis Würzburg
vom letzten Jahr, als auch die persönliche Einschätzung der Fachkräfte im
Jugendamt stellen ganz klar keine Zunahme an familiären Konflikten fest. Das
liegt daran, dass in dem sogenannten „Hellfeld“ der Kontakt zu belasteten
Familien nie abgebrochen ist. 2020 gab es im Vergleich zu den Vorjahren mehr
Meldungen bei Kindeswohlgefährdungen. Ein gut eingeführtes standardisiertes
Verfahren stellt sicher, dass jede Meldung kurzfristig bearbeitet wird. Bei
notwendigen Hausbesuchen finden diese auch während der Pandemie in persönlicher
Präsenz mit 2 Fachkräften (4-Augen-Prinzip) statt. Auffällig ist, dass im
Vergleich zu den Vorjahren die Inobhutnahmen auf 14 im Jahr 2020 zurückgegangen
sind.
Bei den einzelnen
Hilfearten fällt eine enorme Zunahme bei den Sozialpädagogischen Familienhilfen
auf. Ein Grund dafür ist es, dass die Jugendhilfe gerade in Familien mit
kleinen Kindern kein Gefährdungsrisiko eingeht. Gerade bei § 8a-Meldungen mit
gewichtigen Anhaltspunkten ist eine Familienhilfe eine gute Antwort. Auch diese
Hilfen haben in Zeiten der Pandemie stattgefunden, teilweise mit nicht
unerheblichen gesundheitlichen Risiken für die Fachkräfte. Auf Rückfrage von
Frau Kreisrätin Heeg bestätigt Herr Adler, dass die starke Zunahme der
Sozialpädagogischen Familienhilfe vermutlich mit der gleichzeitigen Zunahme der
Meldungen von Kindeswohlgefährdungen zusammenhängt.
Bei der
Vollzeitpflege ist seit Jahren ein leichter aber stetiger Rückgang der
Fallzahlen festzustellen. Das liegt vor allem daran, dass gerade bei Familien
mit Kleinkindern viel versucht wird, die Kinder in den Ursprungsfamilien zu
halten. Zudem nehmen die Fälle zu, dass Kinder so gravierende und multiple
Verhaltensschädigungen aufweisen, dass sie in der Vollzeitpflegefamilie nicht
mehr betreut werden können. Die Versorgung mit Pflegefamilien ist in der Regel
gut, Probleme tun sich aber bei den Bereitschaftspflegefamilien auf, die
gefordert sind, kurzfristig, manchmal sogar mitten in der Nacht, ein Kind
aufzunehmen.
Die
jugendhilferechtliche Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern hat
seit der Flüchtlingskrise stark abgenommen. Allerdings gibt es eine Zunahme bei
den Inobhutnahmen. Maßgeblicher Grund hierfür ist, dass die Bundespolizei auf
den Autobahnen Flüchtlingstransporte ermittelt. Die so aufgegriffenen
Minderjährigen werden dem örtlichen Jugendamt zugestellt. Da diese Jugendlichen
in aller Regel andere Ziele im Auge haben, sind diese häufig nach wenigen Tagen
bereits wieder weg. Herr Schmitt, Polizeiinspektion Würzburg-Land, ergänzt hierzu,
dass momentan an den EU-Außengrenzen die Flüchtlingsströme abgehalten werden.
Diejenigen, die es dennoch über Schleußer nach Deutschland schaffen, haben in
der Regel gerade bei Minderjährigen das Ziel, bei bereits hier lebender
Verwandtschaft unterzukommen.
In der Jugendhilfe
im Strafverfahren sind pro Jahr gut 1.000 Vorgänge im Jugendamt anhängig.
Allerdings muss man relativieren, dass davon ca. 200 Diversionen sind, das sind
Fälle, die das Jugendamt im Auftrag der Staatsanwaltschaft regelt. Weitere ca.
200 Fälle pro Jahr werden in der Hauptverhandlung unter Beteiligung der
Jugendhilfe im Strafverfahren verhandelt. Somit haben wir in der Jugendhilfe im
Strafverfahren im Jahr in der Summe ca. 400 zu bearbeitende Fälle. Bei der
Übersicht der Deliktarten wird ein Pandemieeffekt sichtbar. So sind die
Fallzahlen z. B. bei den Ladendiebstählen, bei den Gewaltdelikten und bei den
Drogendelikten rückläufig, da die entsprechenden Gelegenheiten nicht in der
Fülle gegeben waren. Darüber hinaus muss man klar feststellen, dass die
Entwicklung in gewissen Straftatgruppen von dem jeweiligen Ermittlungsverhalten
der Polizei im starken Maße abhängt. Als ein Beispiel nennt Herr Adler die
Zunahme bei den Sexualdelikten. Bei vielen Straftaten werden mittlerweile die
Handys von Jugendlichen konfisziert. Bei der Überprüfung der Handys stoßen die
Ermittlungsbeamten auf kinderpornografisches Material, das in irgendwelchen
sozialen Netzwerken verbreitet wird. Sehr häufig haben die Jugendlichen keine
Kenntnis bzw. vergessen, dass das Material in ihrem Handyarchiv noch vorhanden
ist. D. h., sehr häufig steckt kein sexualisiertes oder anderweitiges affines
Verhalten der Jugendlichen dahinter, sondern reine Nachlässigkeit. Bei
gewaltpornografischen Medien ist nicht allein die Verbreitung, sondern auch der
Besitz strafbar. Dies schlägt sich in den Fallzahlen nieder. D. h., in diesem
Tatbestand spiegelt sich weniger eine kriminelle Energie, als vielmehr eine
mangelnde Information über mögliche Konsequenzen.
Frau Kreisrätin
Wild bestätigt aus ihrer Erfahrung als Jugendschöffin, dass das Problem weniger
beim Kind liegt, als vielmehr bei den Eltern. Sie hat die Erfahrung gemacht,
dass kaum Eltern bei jugendgerichtlichen Strafverfahren anwesend sind und ihre
Kinder stützen. Auch in den Hilfen zur Erziehung, insbesondere in
familienersetzenden, wollen die Kinder in aller Regel zurück zu ihren Eltern.
Auch das verdeutlicht, dass die Probleme weniger bei den Kindern, als vielmehr
bei den Eltern zu suchen sind.
Herr Obermayer
berichtet für den Fachbereich 31b, Verwaltung der Jugendhilfe:
Die
Fallzahlenentwicklung für die Übernahme von Teilnahmebeiträgen in
Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege sind deutlich rückgängig.
Das ist im Wesentlichen auf die Einführung des Bayerischen Betreuungsgeldes
zurückzuführen, da damit ein Rückgang der Elternbeiträge in den Einrichtungen
der Tagespflege einhergeht.
Seit letztem Jahr
gibt es den Fachdienst Eingliederungshilfen (§ 35a SGB VIII). Hintergrund ist
das Bundesteilhabegesetz. Dies hat zu einer erheblichen Fallsteigerung bei der
Teilhabeprüfung, als auch bei den Hilfen geführt.
Frau Kreisrätin
Heeg fragt an, worauf die besonderen Fallzahlsteigerungen bei den
Eingliederungshilfen zurückzuführen sind. Herr Obermayer antwortet, es gibt
eine Reihe von Gründen, z. B. die zunehmende Sensibilität des Fachpersonals in
Kindertageseinrichtungen, die bereits vor dem Übergang vom Kindergarten in die
Schule entsprechende Hinweise auf Unterstützungsbedarfe geben. Des Weiteren
verpflichten gerichtliche Verfahren das Jugendamt, unabhängig von der Prüfung
der Teilhabeberechtigung, z. B. Schulbegleiter vom ersten Tag der Einschulung
an. Erst im Laufe des Fallmanagements könne dann vom Jugendamt abgeschätzt
werden, ob ein Schulbegleiter notwendig ist oder nicht, oder ob der
Stundenumfang angepasst werden kann.
Herr Rostek
berichtet für den Fachbereich 31c, Kinder-, Jugend- und Familienarbeit:
Auch die
Tätigkeitsfelder im Fachbereich 31c waren 2020 maßgeblich von der
Pandemiesituation geprägt, wenn auch nicht alles im ausschließlich negativen
Tenor, es gibt auch durchaus interessante positive Entwicklungen, die sich so
ohne Lockdown und Einschränkungen nicht ergeben hätten.
Im Bereich der
Kindertagesbetreuung gab es einen enorm erhöhten Beratungsbedarf für die 135
Kindertageseinrichtungen und für die Tagesmütter. Die telefonischen Anfragen in
Angelegenheiten der Notbetreuung, der Schließungen und Öffnungen, der
Zugangsberechtigungen in Kitas usw. waren so immens, dass sie im Fachbereich
auf mehrere Schultern verteilt werden mussten, um die Anfrageflut zu
bewältigen. Damit konnte auch vor allen Dingen im ersten Halbjahr 2020 das
Bürgertelefon des Landkreises Würzburg nicht unmaßgeblich entlastet werden. Im
Mittelpunkt standen Fragen zu den Infektionsschutzverordnungen, zu
Betretungsverboten, zur Notbetreuung, zur Definition sogenannter
„systemrelevanter Personen“ und vieles mehr.
In der
Jugendarbeit hat uns insbesondere das Thema Kinderrechte beschäftigt. Kinder
und Jugendliche werden bis heute noch mehr als Infektionsüberträger, also als
Gefährdungspotential und weniger als Träger von Rechten gesehen. Wir hatten es
mit Schließungen und Teilöffnungen der offenen Jugendarbeit zu tun. Dennoch
waren viele Angebote möglich. Insbesondere bei den Ferienangeboten konnten mit
Einhaltung der Hygieneregeln eine ganze Reihe von Veranstaltungen durchgeführt
werden, so der Abenteuerspielplatz in Kirchheim, der Zirkus Wirbelwind mit
seinen zwei Wochenveranstaltungen mit Übernachtung der Kinder, das
Ferienpassprogramm und das Mut-mach-Programm an Grundschulen.
In den frühen
Hilfen, der Angebote der Familienbildung und Familienstützpunkte haben sich
nach der „Schockstarre“ im ersten Lockdown vor allen Dingen ab dem zweiten
Halbjahr 2020 viele kreative Lösungen und Angebote entwickelt. Vom Tür- und
Angelgespräch, Beratungsspaziergängen und Treffen in öffentlichen Freiräumen
(z. B. Spielplatz) mit informationsinteressierten Eltern konnten coronakonforme
persönliche Kontakte ermöglicht und gepflegt werden. Besonders stark und
erfolgreich war der Ausbau digitaler Elternbildungsangebote: vom
Online-Elternabend, über digitale Gruppentreffen junger Mütter, von
Online-Beratungsgesprächen, bis hin zur digitalen Krabbelgruppe. Wichtig ist
hierbei die Frage der digitalen Kompetenz der Fachkräfte in technischer und
methodischer Hinsicht, sowie die Frage der geeigneten digitalen Ausstattung,
wozu auch ein guter Internetzugang gehört. In diesen Bereichen haben zahlreiche
Qualifizierungsangebote stattgefunden. Ein weiterer wichtiger Arbeitsauftrag für
die Familienbildung, Familienstützpunkte und frühe Hilfen im Jahr 2020 war die
Unterstützung und das Mutmachen der Eltern in der aktuell schwierigen
Erziehungsverantwortung, insbesondere bewirkt durch die Dreifachbelastung
Kinder, Beruf und Schule.
In der
Netzwerkarbeit, in der Arbeit von Arbeitsgruppen und Arbeitsgemeinschaften auf
Landkreisebene, auf unterfränkischer Ebene, auf bayerischer Ebene und auf
Bundesebene, wurde das Ausweichen auf digitale Formate als großer und auch für
die Zukunft dauerhaft zu erhaltender Wert erkannt.