Sitzung: 06.07.2020 Sozialausschuss
Beschluss: zur Kenntnis genommen
Sachverhalt:
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben die drei Fachbereiche des Jobcenters Landkreises Würzburg mit Ausrufung des Katastrophenfalls zum 16. März 2020 unterschiedlich getroffen. Während im „Fachbereich 43 – Integration Jobcenter Landkreis Würzburg“ – auf Grund des bestehenden Kontaktverbots seit Feststellung des Katastrophenfalls (der Katastrophenfall wurde für den Freistaat Bayern am Montag, 16.03.2020, festgestellt; siehe hierzu BayMABl. Nr. 115 vom 16.03.2020) die persönliche Vermittlungstätigkeit und Betreuung der Kunden vor Ort im Jobcenter erheblich zurückgefahren werden musste, sind der „Fachbereiche 41 – Haushalt und Recht Jobcenter Landkreis Würzburg“ (teilweise) - und insbesondere der „Fachbereich 42 – Verwaltung Jobcenter Landkreis Würzburg“ – zur Aufrechterhaltung der sozialen Sicherung und somit des sozialen Friedens als systemrelevante Bereiche mit einem erheblichen Aufgabenzuwachs – nicht zuletzt durch den vereinfachten Zugang zum SGB II infolge des Sozialschutzpaketes vom 27.03.2020 hervorgerufen - einzustufen. Für den Fachbereich 43 stellt die derzeitige Lage allerdings nur die sprichwörtliche „Ruhe vor dem Sturm“ dar (siehe hierzu unten).
Zunächst wird die Neuantragszahlenentwicklung seit 01.02.2020 (der
Katastrophenfall wurde für den Freistaat Bayern am Montag, 16.03.2020,
festgestellt; siehe hierzu BayMABl. Nr. 115 vom 16.03.2020) aufgezeigt.
Zeitraum |
Kalenderwoche |
Anzahl
Neuanträge |
03.02.2020 – 09.02.2020 |
6. KW |
19 Neuanträge |
10.02.2020 – 16.02.2020 |
7. KW |
15 Neuanträge |
17.02.2020 – 23.02.2020 |
8. KW |
22 Neuanträge |
24.02.2020 – 01.03.2020 |
9. KW |
23 Neuanträge |
02.03.2020 – 08.03.2020 |
10. KW |
13 Neuanträge |
09.03.2020 – 15.03.2020 |
11. KW |
18 Neuanträge |
16.03.2020 – 22.03.2020 |
12. KW (Ausrufung Katastrophenfall) |
33 Neuanträge |
23.03.2020 – 29.03.2020 |
13. KW |
57 Neuanträge |
30.03.2020 – 05.04.2020 |
14. KW |
87 Neuanträge |
06.04.2020 - 12.04.2020 |
15. KW |
41 Neuanträge |
13.04.2020 – 19.04.2020 |
16. KW |
46 Neuanträge |
20.04.2020 – 26.04.2020 |
17. KW |
54 Neuanträge |
27.04.2020 – 03.05.2020 |
18. KW |
63 Neuanträge |
04.05.2020 – 10.05.2020 |
19. KW |
38 Neuanträge |
11.05.2020 – 17.05.2020 |
20. KW |
36 Neuanträge |
18.05.2020 – 24.05.2020 |
21. KW |
16 Neuanträge |
25.05.2020 – 31.05.2020 |
12. KW |
37 Neuanträge |
Wie aus der vorangegangenen Aufstellung ersichtlich ist sind die Neuantragszahlen seit Ausrufung des Katastrophenfalls sprunghaft angestiegen.
Als Vergleichszahl hierzu wurden im Jahr 2019 insgesamt 925 Neuanträge beim Jobcenter Landkreis Würzburg gestellt. Es lag somit ein monatlicher Neuantragsdurchschnitt von 77 und ein wöchentlicher Durchschnitt von 18 Neuanträgen vor.
Im Monat Februar 2020 wurden insgesamt 79 Neuanträge ausgehändigt und im Monat März 2020 waren es bereits 173. Es lag somit mehr als eine Verdoppelung vor, obwohl der Anstieg erst mit dem 16.03.2020 begann. Im Monat April wurden insgesamt 239 Neuanträge gestellt, was einer Verdreifachung entspricht. Im Monat Mai wurden 127 Neuanträge gestellt. Dies stellt die 1,78fache Anzahl im Vergleich zum regulären Durchschnitt dar.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Neuantragszahlen vom 16.03.2020 bis zum 30.04.2020 auf dem dreifachen Niveau zu vorher lagen. Es lag eine Erhöhung von einem wöchentlichen Durchschnitt von 18 Neuanträgen auf 54 Anträge (33+57+87+41+46+54+63/ 7 Wochen) vor. Seit Mai ist ein Rückgang der Neuantragszahlen zu vermerken. Mit einem wöchentlichen Durchschnitt von 32 Neuanträgen (127 Anträge insgesamt im Mai 2020) entspricht dies jedoch noch der 1,78fachen Anzahl im Vergleich zu vorher.
Es wird weiterhin mit einem erhöhten Neuantragszugang gerechnet.
Der größte Anstieg ist bei den Antragszahlen der Selbstständigen und
freiberuflich Tätigen zu verzeichnen. Hier sind seit dem 16.03.2020 bis
17.05.2020 insgesamt 109 Neuanträge auf Leistungen nach dem SGB II beim
Jobcenter Landkreis Würzburg gestellt worden.
Der Großteil dieser Antragsteller sind Solo-Selbstständige (62). Es
wurden außerdem von 12 Künstlern und 35 Selbständigen mit Angestellten Anträge
gestellt.
Außerdem wurden Leistungen hauptsächlich aufgrund verringerter Einnahmen
wegen Kurzarbeit und Wegfall Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung
beantragt.
Eine genaue Auswertung der Bezieher von Kurzarbeitergeld ist leider
nicht ohne weiteres möglich, da die Arbeitslosenstatistik diesbezüglich erst
zum 16. April 2020 geändert wurde und eine Auswertung nur mit nicht
vertretbarem zusätzlichen Verwaltungsaufwand händisch möglich wäre.
Mit der Bearbeitung dieser Neuanträge ist – wie oben bereits angeführt – aktuell in erster Linie der „Fachbereich 42 – Verwaltung Jobcenter Landkreis Würzburg“ erheblich über das normale Maß hinaus betroffen. Auf Grund des Ausscheidens von 6 Mitarbeiter*innen (dies entspricht ca. 25 % der ursprünglichen Mitarbeiter*innen 3. QE im Fachbereich 42) beginnend seit dem 10.02.2020 trifft dies die verbleibenden Mitarbeiter*innen des Fachbereichs 42 in der derzeitigen Lage besonders hart.
Es erfolgten zwar bereits zwei Nachbesetzungen, jedoch wurde für eine davon wegen Schwangerschaft ein Beschäftigungsverbot aufgrund der derzeitigen Lage ausgesprochen. Weitere Nachbesetzungen sind für Anfang Juli geplant.
Wegen der sehr angespannten Personalsituation im FB 42 und der zu bewältigenden Neuantragsflut aufgrund der Corona-Pandemie wurden daher vom SFB 1 zum 07.04.20 und 15.04.2020 zwei ehemalige (eingearbeitete) Mitarbeiter*innen (1,625 VZÄ) aus anderen Fachbereichen dem Jobcenter vorübergehend zur Unterstützung wieder zugewiesen.
Bei den Bürgern ist ein sehr hoher – derzeit telefonischer - Beratungsbedarf vorhanden. Das allgemeine Infostellentelefon, welches neben der intensiven Erstberatung derzeit ebenfalls für die Erfassung und Koordination der Erstanträge verantwortlich ist, wurde daher vorübergehend auf 6 Personen aufgestockt. Insgesamt wurden hier im Monat April 912 und im Monat Mai 841 Anliegen von Bürgern abgearbeitet.
Für einfachere Tätigkeiten (Tätigkeiten, die keine vertieften Rechtskenntnisse erfordern und einen finanziellen Schaden für den Bund oder den Landkreis Würzburg eher als unwahrscheinlich erscheinen lassen – sog. „kalkulierbares Risiko“) wird der Fachbereich 42 durch Mitarbeiter*innen des Fachbereichs 43 sowie den im Fachbereich 41 angesiedelten Außendienstmitarbeiter und eine Assistenzkraft unterstützt.
Durch das Sozialschutzpaket wurden zwar Erleichterungen bei den Weiterbewilligungen und bei der Vermögensprüfung bei „nicht erheblichen Vermögen“ geschaffen, aber dies kompensiert die Mehrarbeit durch die Vielzahl der Neuanträge und deren Prüfung sowie den Beratungsbedarf der Bürger nicht. Des Weiteren sind die Mitarbeiter*innen durch die Umsetzung der gesetzlichen Änderungen mit nahezu täglich zu verzeichnenden Änderungen / Ergänzungen von Auslegungshinweisen zusätzlich gefordert und belastet.
Wie sich die Lage im Leistungsbereich (Fachbereich 42) weiter entwickelt
bleibt abzuwarten. Aufgrund der hohen Neuantragszahlen und der Prognose der
Bundesregierung, dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften in den nächsten sechs
Monaten um 1,2 Millionen (dies entspricht einem Anstieg um ca. 40%) steigen
wird ist mit einem mindestens mittelfristigen Anstieg der Fallzahlen zu
rechnen.
Wie viele der Leistungsempfänger, welche aufgrund der aktuellen
Corona-Pandemie Leistungen nach dem SGB II in Anspruch nehmen, längerfristig im
SGB II Bezug bleiben werden hängt von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung
ab und bleibt dem berühmten „Blick in die Glaskugel“ vorbehalten.
Nachfolgend wird die Entwicklung der Bestandszahlen aufgezeigt:
Es handelt sich hierbei um die sogenannten T-0 Zahlen (Werte ohne
Wartezeit; die Werte können sich noch ändern) von Januar bis Mai 2020:
Lediglich für den Monat Januar liegen bereits die endgültigen T-3 Zahlen
vor.
|
Januar (T-0) |
Januar (T-3) |
Februar (T-0) |
März (T-0) |
April (T-0) |
Mai (T-0) |
Anzahl BG |
1477 |
1554 |
1498 |
1497 |
1521 |
1576 |
Personen in BG
(LE) |
2837 |
3018 |
2922 |
2924 |
2977 |
3073 |
Anzahl ELB |
1931 |
2043 |
1978 |
1988 |
2022 |
2104 |
Hieraus lässt sich ab März bis Mai 2020 bereits eine leichte Steigerung
der Anzahl der Bedarfsgemeinschaften und Leistungsempfänger ersehen, insgesamt
absolut um 79 Bedarfsgemeinschaften und somit um 5 %. Es ist hierbei zu
beachten, dass sich die vermehrten Neuanträge erst zeitversetzt in den
Bestandszahlen niederschlagen werden. Zum einen ist die Bearbeitungszeit zu
beachten und zum anderen müssen teilweise Anträge aufgrund
materiell-rechtlicher Gründe abgelehnt und andere, welche von den
Antragstellern nicht weiter verfolgt werden, müssen aufgrund fehlender
Mitwirkung versagt werden.
Insgesamt stieg die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften auf Grundlage der
T-0 Zahlen seit Januar 2020 um 99 Bedarfsgemeinschaften (=6,7%), 236
Leistungsempfänger (=8,3%) und 173 erwerbsfähige Leistungsberechtigte (=9%) an.
Der „Fachbereich 41 – Haushalt
und Recht Jobcenter Landkreis Würzburg“ ist im Übrigen – noch – relativ
glimpflich davongekommen. Bis auf ein Beschäftigungsverbot vor Ort für eine
schwangere Mitarbeiterin, das zum Glück relativ zeitnah in einen
Homeoffice-Platz „umgewandelt“ werden konnte, einer vorübergehenden
vorerkrankungsbedingten Freistellung einer Mitarbeiterin, der Abordnung eines
Kollegen in die FüGK und die obengenannten Unterstützungsarbeiten für den FB 42
kann die Aufgabenerledigung – da auch außerhalb der Zeiten von Corona im
Sachbearbeiterbereich mit Ausnahme von Gerichtsterminen und Außendienst in
diesem Fachbereich kaum Kundenkontakt besteht – annähernd „normal“ erfolgen.
Für den „Fachbereich 43 –
Integration Jobcenter Landkreis Würzburg“ wird sich die Corona-Pandemie –
wie Eingangs bereits erwähnt – aufgabentechnisch zeitversetzt auswirken, so
dass aktuell Mitarbeiter*innen des Fachbereich 43 neben der oben bereits
aufgezeigten Unterstützung des Fachbereichs 42 auch den „Fachbereich 34 – Gesundheitsamt“
bei der Dateneingabe in AESKULAB unterstützten. Allerdings macht sich auch beim
Fachbereich 43 ein erhöhter telefonischer Beratungsbedarf mit den Kunden
bemerkbar, um die momentan eingeschränkte persönliche Erreichbarkeit zu
kompensieren und den Kontakt in der pandemiebedingten Ausnahmesituation
aufrecht zu erhalten und die Kunden in der schwierigen Situation – auch
psychisch - zu unterstützen.
Zahlreiche von den Mitarbeiter*innen im Fachbereich 43 in den letzten
Monaten vermittelte Kunden sind bereits zurück in den Bezug gekommen bzw.
werden noch zurück kommen, da die Anwartschaft auf Leistungen nach dem SGB III
(Arbeitslosengeld I) für einen Leistungsbezug oft nicht ausreicht bzw. die
Leistungen des SGB III bei Tätigkeit im Niedriglohnsektor zum Lebensunterhalt
in der Regel nicht ausreichen und somit mit Arbeitslosengeld II ergänzt werden
müssen.
Die ersten – allerdings konjunkturell bedingten - Anzeichen für einen
Rückgang der bisherigen Integrationen von SGB-II-Leistungsempfängern in den
ersten Arbeitsmarkt waren - wenngleich in wesentlich verminderter Ausprägung -
bereits vor der Pandemie an den veröffentlichten Statistiken ablesbar. Durch
die Pandemie ist die Entwicklung allerdings mit extremer Geschwindigkeit
vorangeschritten und die Integration letztendlich nahezu gänzlich zum Erliegen
gekommen.
Zum Teil sind im „neuen“ Kundenprofil „Selbständige“, deren bisheriges
Einsatzgebiet ersatzlos brach liegt. Bei dieser Kundengruppe wird zwar erhofft,
dass nach Beendigung der Pandemie teilweise die Selbständigkeit wieder
aufgenommen / fortgeführt werden kann, allerdings werden in derzeit nicht näher
bezifferbarem Umfang auch Selbständige auf der Strecke bleiben. Für diese muss
eine Alternative gefunden werden.
Keinen Anlass zum Optimismus bietet aus heutiger Sicht die Prognose der
generellen wirtschaftlichen Entwicklung mit der Folge, dass die Vermittlung von
in der Regel geringer qualifizierten SGB-II–Leistungsempfängern erschwert
werden wird. Hier ist der bisher vom Jobcenter Landkreis Würzburg
eingeschlagene Weg (soweit finanziell und auf Grund der Kompetenzen der Kunden
vertretbar) – Qualifizierung vor schneller und dann in der Regel auch nur
kurzzeitiger Vermittlung – wohl der langfristig betrachtet bessere Weg.
Personen, die eine höherwertige Tätigkeit ausüben können, werden entsprechend
qualifiziert und längerfristig – überwiegend dann auch bedarfsdeckend - in den
Arbeitsmarkt integriert.
Da im Bereich des Jobcenters Landkreis Würzburg in den zurückliegenden Jahren auf Grund der Struktur des örtlichen Arbeitsmarktes eine nicht unbedeutende Anzahl an Kunden saisonal in den Bereichen Gastronomie und Tourismus vermittelt wurden und dies – aufgrund der Pandemie - derzeit und auch auf absehbare Zeit nicht möglich ist bzw. sein wird, wird auf das gesamte Jahr gesehen eine höhere Arbeitslosenquote zu verzeichnen sein.
Beschlussvorschlag:
Der
Sozialausschuss nimmt die vorstehenden Ausführungen der Verwaltung zur
Kenntnis.
Debatte:
Frau Lauer führt aus, wie sich die Pandemie auf das Jobcenter ausgewirkt hat. Es
wird eine höhere Zahl der gestellten Anträge verzeichnet, vor allem durch
Freiberufliche und Selbstständige. Aktuell ist die Tendenz wieder sinkend.
Herr Eck gibt im Namen des gesamten Gremiums an, dass die Arbeit der Mitarbeiter
des Jobcenters geschätzt wird und bedankt sich.
Beschluss:
Der
Sozialausschuss nimmt die vorstehenden Ausführungen der Verwaltung zur
Kenntnis.