Sitzung: 17.10.2011 Sozialausschuss
Beschluss: zur Kenntnis genommen
Debatte:
Frau
stv. Landrätin Schäfer bittet Herrn
Blenk um entsprechenden Vortrag über die Maßnahmen, die von Seiten des
Gesetzgebers neu geplant sind.
Herr
Blenk berichtet zunächst über die erneute Instrumentenreform im Bereich der
arbeitsmarktpolitischen Instrumente.
Eine letzte umfassende Reform wurde bereits
im Jahre 2009 verabschiedet, so dass nun abermals im Bereich der
Eingliederungsstrategien gravierende Veränderungen und Umstellungen bei den
einzurichtenden Maßnahmen auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Jobcenters zukommen.
Das Gesetzgebungsverfahren soll noch im Jahr
2011 abgeschlossen sein, so dass das Inkrafttreten der Instrumentenreform zum
01.04.2012 aus heutiger Sicht realistisch ist. Es handelt sich hierbei nicht um
ein zustimmungspflichtiges Gesetz durch den Bundesrat. Es wurde jedoch trotzdem
von Seiten des Bundesrates beschlossen, das Gesetz dem Vermittlungsausschuss
zuzuführen. Inhaltliche gravierende Veränderungen sind jedoch diesbezüglich
nicht mehr zu erwarten.
Durch den momentanen Entwurf werden von den
Jobcentern in der Option weitere zusätzliche Beschränkungen und
Reglementierungen in der Gestaltungsfreiheit und Flexibilität bei den
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gesehen. Die Handlungsmöglichkeiten der
Jobcenter werden vor allem dadurch beeinträchtigt, dass im Rahmen der weiter
geplanten Mittelkürzungen im SGB II‑Eingliederungsbudget die
Flexibilität bei den Entscheidungen für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen
mittelfristig weiter eingeschränkt werden wird. Dies wirkt sich insbesondere
bei dem SGB II‑Klientel aus, da die langfristige Abwesenheit vom
Arbeitsmarkt in der Zwischenzeit nach fast 7 Jahren SGB II sehr
individuelle Eingliederungsmaßnahmen erfordert, die in der Regel
kostenintensiver sind. Des Weiteren wird es durch die Reform in der Zukunft
erheblich schwieriger werden, genau für diese Zielgruppe der
Langzeitarbeitslosen Maßnahmen aus Bundesmitteln einzurichten, da von Seiten
des Gesetzgebers hier deutlich die zur Verfügungstellung kommunaler
Eingliederungsmittel gefordert wird.
Nachdem bereits von 2010 auf 2011 eine ca.
20%ige Kürzung der Eingliederungsmittel erfolgte, ist für das Jahr 2012 mit
einer weiteren Reduzierung der Eingliederungsmittel von ca. 17% zu rechnen.
Diese finanzielle Entwicklung ist für die
Maßnahmeplanung von besonderer Bedeutung, da der Anteil der
langzeitarbeitslosen Hilfeempfänger innerhalb der Gesamtarbeitslosenquote in
den einzelnen Regionen deutlich zunimmt. Bundesweit beträgt der Anteil der
SGB II‑Leistungsempfänger an den Gesamtarbeitslosen ca. 71%. Für den
Zuständigkeitsbereich des Landkreises Würzburg liegt dieser Anteil derzeit bei
lediglich 46%. Es ist jedoch auch für den Landkreis Würzburg zu erwarten, dass
im Verhältnis der Arbeitslosen‑I und der Arbeitslosen‑II‑Quote
die Zahl der Arbeitslosen im Arbeitslosengeld‑I stetig abnehmen wird,
während im gleichen Maße der Anteil der SGB II Hilfeempfänger zunehmen
wird. Diese Entwicklung wird zunächst bis 2015 weiter Bestand haben, zumal die
Mittelkürzungen im Bereich der Eingliederungsmaßnahmen bereits bis zum Jahre
2015 beschlossen wurden. In Zahlen bedeutet dies, dass für 2010 noch ca.
2,2 Mio. Euro Eingliederungsmittel vom Bund zur Verfügung gestellt wurden,
während bereits 2011 noch ca. 2,0 Mio. Euro zur Verfügung stehen und für
2012 derzeit lediglich mit 1,5 Mio. Euro gerechnet werden kann.
Eine weitere Einschränkung ist bei den
Existenzgründungen von Hilfeempfängern vorgesehen. Hier wird zunächst der
Rechtsanspruch auf eine solche Existenzgründung in eine Ermessensentscheidung
der Jobcenter umgewandelt. Allein in dem Bereich der Existenzgründungen ist
eine Reduzierung der verfügbaren Mittel um bundesweit ca.
1 Milliarde Euro geplant. Nachdem nach der bundesweiten Statistik
zuletzt mehr Frauen als Männer in die Existenzgründung gegangen sind, wird es
gerade für Frauen zu größeren Einschränkungen bei den Integrationen führen.
Eine weitere gravierende Einschränkung ist
bei der Förderung von Arbeitnehmern über 50 Jahre geplant. Hier besteht
derzeit die Möglichkeit, bei Eintritt in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis –
z.B. nach einer Arbeitsgelegenheit (1 Euro-Job) einen
Eingliederungszuschuss für insgesamt 36 Monate zu gewähren. Diese
Förderdauer soll nach dem Entwurf des Gesetzes auf 12 Monate reduziert
werden. Dies würde sich nach Einschätzung des Jobcenters auch in unserem
Bereich sehr nachteilig für die Integration älterer Arbeitnehmer ab
50 Jahre auswirken.
Weitere drastische Einschränkungen wird es
bei den Maßnahmen im Bereich der Arbeitsgelegenheiten geben, den sogenannten
öffentlich geförderten Beschäftigungen. Dieses Instrument spielt jedoch gerade
bei SGB II Leistungsempfängern eine wichtige Rolle. Dies wird um so
bedeutsamer, da der Anteil der Arbeitslosengeld II‑Bezieher im
Verhältnis zu den Arbei9tslosengeld‑I‑Beziehern weiterhin stetig
zunehmen wird.
Die geplanten Einschränkungen für
Arbeitsgelegenheiten verhindern Flexibilität und Passgenauigkeit für die
Langzeitarbeitslosen-Hilfeempfänger. Die Kürzung der Betreuungspauschale für
sozialpädagogische Aufwendungen darf nicht zu dem Ergebnis führen, dass gerade
bei dieser Zielgruppe notwendige sozialpädagogische Betreuungen aus der
Finanzierung herausgenommen werden. Für das Jobcenter des Landkreises betrifft
dies ganz besonders das Sozialkaufhaus „Hat was“ der Brauchbar gGmbH in
Ochsenfurt.
Über die an die Arbeitsgelegenheit gerichteten
Kriterien „öffentlich“, „zusätzlich“ und „wettbewerbsneutral“ muss verbindlich
vor Ort unter Einbeziehung von Wirtschaft, Gewerkschaft und gesellschaftlichen
Gruppierungen entschieden werden können. Gerade bei den Arbeitsgelegenheiten
muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass für viele Teilnehmer nicht nur
die Effizienz der Maßnahme an einer Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt
bewertet wird, sondern dass die Arbeitsgelegenheiten als Einstieg für weitere
arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gesehen werden müssen und einen wichtigen
Schritt zur gesellschaftlichen Integration Langzeitarbeitsloser Menschen
bedeuten.
Frau
stv. Landrätin Schäfer bewertet die gesetzliche Entwicklung, insbesondere
die Kürzung der Mittel als wenig zielführend, da es zukünftig noch schwieriger
werden wird, Menschen mit vielen Vermittlungshemmnissen in den ersten oder auch
zweiten Arbeitsmarkt zurückzuführen. Sie sieht deshalb die gesetzliche
Entwicklung nicht unbedingt im Einklang mit den bundesweiten Ergebnissen des Benchmarking.
Frau
Schäfer bittet nun um weitere Wortbeiträge.
Herr
Kreisrat Rüger sieht unter der Notwendigkeit der Wettbewerbsneutralität in Bezug auf
die Einrichtung von Arbeitsgelegenheiten ein „k.o.‑Argument“. Es wird
damit nicht der Situation Rechnung getragen, dass die Hilfeempfänger im
SGB II einen besonderen Förderbedarf haben, der über reguläre
Arbeitsverhältnisse sicher nicht erfüllt werden kann.
Herr
Kreisrat Mühleck sieht ebenfalls ein Problem für die Gemeinden insoweit, dass die
Absicht des Bundes, im Gesetz die stärkere Einforderung kommunaler Mittel nicht
ohne Widerspruch hingenommen werden kann. Er sieht hier die Rolle der
kommunalen Spitzenverbände, die finanziellen Interessen der Kommunen zu vertreten.
Frau
Kreisrätin Schraud bewertet die Kürzung der Eingliederungsmittel und die zukünftige
Förderung öffentlicher Beschäftigungsverhältnisse für sehr schwierig. Bei den
Kürzungen im Bereich der Existenzgründungen fragt sie nach den tatsächlichen
Auswirkungen, da sie davon ausgeht, dass bei Menschen mit multiplen
Vermittlungshemmnissen Existenzgründungen wohl kaum in Frage kommen.
Des
Weiteren stellt sich die Frage, wie sich die Kürzungen auf die Hilfeempfänger
insgesamt auswirken.
Herr
Blenk erläutert, dass bei den Existenzgründungen sowohl
Arbeitslosengeld I‑Empfänger als auch Arbeitslosengeld II‑Empfänger
betroffen sind. In der Mehrzahl wird es jedoch Empfänger von
Arbeitslosengeld I betreffen, da, wie bereits von Frau Schraud vermutet, im SGB II weniger geeignete Personen
für eine Existenzgründung betreut werden. Es sollen natürlich auch aus den
Erfahrungen der sogenannten „ICH-AG’s“ von vorneherein nur tragfähige Konzepte
und Personen weiter gefördert werden. Im Jobcenter des Landkreises Würzburg werden
deshalb vor jeder Existenzgründung eine notwendige Beratung bei der HWK‑Service‑GmbH
vorgeschaltet. Erst wenn von dort aus gegenüber dem Jobcenter das vorgelegte
Konzept für tragfähig eingeschätzt wird, wird dies auch von unserer Seite
weiter gefördert.
Zur Frage der Kürzung der
Eingliederungsmittel bei rückläufiger Entwicklung der Hilfeempfänger gibt Herr Blenk zu bedenken, dass bei der
Mittelreduzierung nicht berücksichtigt wurde, dass die im System verbleibenden
Hilfeempfänger immer betreuungsintensiver werden und damit für weniger
Teilnehmer höhere Kosten verursacht werden.
Es darf die sozialpolitische Wirkung dabei
nicht außer acht bleiben. Die Konsequenz wäre, dass im Rahmen der sogenannten
„Sockelbildung„ ein immer größer werdender Anteil von Hilfeempfängern in andere
Leistungssysteme wie z.B. die Sozialhilfe einmünden würde und das zum Teil in einem
Alter, in dem noch eine aktive Beteiligung am Arbeitsmarkt noch über Jahrzehnte
notwendig wäre. Es ist auch hierbei der Grundsatz des SGB II des „Förderns
und Forderns“ zu berücksichtigen. Herr Blenk erläutert hierzu nochmals, dass es
zukünftig bei vielen Hilfeempfängern sicher schwieriger werden wird, mit einem
arbeitsmarktpolitischen Instrument gleich eine Integration in den ersten oder
zweiten Arbeitsmarkt zu erreichen, sondern dass Maßnahmen zur
Arbeitsmarktintegration aufeinander aufbauen müssen und für jede Maßnahme
einzelne Integrationsfortschritte nachzuweisen sind.
Frau
Kreisrätin Schraud legt noch mal Wert auf die Feststellung, dass es ihr grundsätzlich
darum geht, dass eingerichtete Maßnahmen auch nach ihrer Sinnhaftigkeit und
Nachhaltigkeit überprüft werden.
Herr
Blenk stellt hierzu fest, dass inzwischen auch die Jobcenter in kommunaler
Verantwortung diese Nachhaltigkeit von Maßnahmen in jedem Einzelfall belegen
müssen. Zusätzlich ist dies Teil der mit jedem einzelnen Hilfeempfänger
abzuschließenden Eingliederungsvereinbarung.
Herr
Kreisrat Mühleck spricht sich im Bezug auf den zukünftigen Fachkräftemangel dafür aus,
dass wie in den 60er und 70er Jahren durch den Bund qualifizierende Umschulungsmaßnahmen
eingerichtet werden. Er hält die kurzfristigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen
für die Beseitigung des Fachkräftemangels für nicht ausreichend.
Frau
Kreisrätin Reuther unterstützt die Vorstellung der weiteren Qualifizierung durch Umschulungsmaßnahmen,
gibt jedoch zu bedenken, dass dies bei den Hilfeempfängern im SGB II
sicher nicht so einfach sein wird. Ein Schwerpunkt in dieser Frage ist deshalb
auf den Kundenkreis der unter 25jährigen zu richten, damit den jungen Menschen
wieder verstärkt berufliche Perspektiven geboten werden können. Frau Reuther
sieht auch mit der Problematik der Wettbewerbsneutralität große Probleme auf
die Jobcenter und das dort zu betreuende Klientel zukommen. Sie sieht auch das
Grundsatzproblem, dass jede Tätigkeit, die über eine Arbeitsgelegenheit
verrichtet wird, nicht wettbewerbsneutral sein kann, da es sicher irgendeinen
Betrieb gibt, der die gleiche Tätigkeit anbietet. Sie sieht auch die
Problematik, diese Interessen über den Beauftragten für Chancengleichheit am
Arbeitsmarkt im örtlichen Beirat im Sinne des betroffenen Klientels lösen zu
können. Frau Kreisrätin Reuther und Herr
Kreisrat Rüger sehen die angedachten Lösungen in der Instrumentenreform
nicht aus der Sicht der Hilfeempfänger bedacht.
Nachdem keine weiteren Wortbeiträge mehr gewünscht sind, schließt Frau stv. Landrätin Schäfer den Tagesordnungspunkt 3 mit
dem Hinweis, dass diese gesetzliche Entwicklung und die Probleme bei der
Umsetzung den Sozialausschuss auch weiterhin intensiv beschäftigen werden und
dass es Aufgabe des Sozialausschusses ist, dem Jobcenter geeignete
Möglichkeiten zu geben, um erfolgreich weiter zu arbeiten.