Beschluss: zur Kenntnis genommen

Debatte:

 

Frau stv. Landrätin Schäfer bittet Herrn Blenk um entsprechenden Vortrag über die Maßnahmen, die von Seiten des Gesetzgebers neu geplant sind.

 

Herr Blenk berichtet zunächst über die erneute Instrumentenreform im Bereich der arbeitsmarktpolitischen Instrumente.

 

Eine letzte umfassende Reform wurde bereits im Jahre 2009 verabschiedet, so dass nun abermals im Bereich der Eingliederungsstrategien gravierende Veränderungen und Umstellungen bei den einzurichtenden Maßnahmen auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters zukommen.

 

Das Gesetzgebungsverfahren soll noch im Jahr 2011 abgeschlossen sein, so dass das Inkrafttreten der Instrumentenreform zum 01.04.2012 aus heutiger Sicht realistisch ist. Es handelt sich hierbei nicht um ein zustimmungspflichtiges Gesetz durch den Bundesrat. Es wurde jedoch trotzdem von Seiten des Bundesrates beschlossen, das Gesetz dem Vermittlungsausschuss zuzuführen. Inhaltliche gravierende Veränderungen sind jedoch diesbezüglich nicht mehr zu erwarten.

 

Durch den momentanen Entwurf werden von den Jobcentern in der Option weitere zusätzliche Beschränkungen und Reglementierungen in der Gestaltungsfreiheit und Flexibilität bei den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gesehen. Die Handlungsmöglichkeiten der Jobcenter werden vor allem dadurch beeinträchtigt, dass im Rahmen der weiter geplanten Mittelkürzungen im SGB II‑Eingliederungsbudget die Flexibilität bei den Entscheidungen für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen mittelfristig weiter eingeschränkt werden wird. Dies wirkt sich insbesondere bei dem SGB II‑Klientel aus, da die langfristige Abwesenheit vom Arbeitsmarkt in der Zwischenzeit nach fast 7 Jahren SGB II sehr individuelle Eingliederungsmaßnahmen erfordert, die in der Regel kostenintensiver sind. Des Weiteren wird es durch die Reform in der Zukunft erheblich schwieriger werden, genau für diese Zielgruppe der Langzeitarbeitslosen Maßnahmen aus Bundesmitteln einzurichten, da von Seiten des Gesetzgebers hier deutlich die zur Verfügungstellung kommunaler Eingliederungsmittel gefordert wird.

 

Nachdem bereits von 2010 auf 2011 eine ca. 20%ige Kürzung der Eingliederungsmittel erfolgte, ist für das Jahr 2012 mit einer weiteren Reduzierung der Eingliederungsmittel von ca. 17% zu rechnen.

 

Diese finanzielle Entwicklung ist für die Maßnahmeplanung von besonderer Bedeutung, da der Anteil der langzeitarbeitslosen Hilfeempfänger innerhalb der Gesamtarbeitslosenquote in den einzelnen Regionen deutlich zunimmt. Bundesweit beträgt der Anteil der SGB II‑Leistungsempfänger an den Gesamtarbeitslosen ca. 71%. Für den Zuständigkeitsbereich des Landkreises Würzburg liegt dieser Anteil derzeit bei lediglich 46%. Es ist jedoch auch für den Landkreis Würzburg zu erwarten, dass im Verhältnis der Arbeitslosen‑I und der Arbeitslosen‑II‑Quote die Zahl der Arbeitslosen im Arbeitslosengeld‑I stetig abnehmen wird, während im gleichen Maße der Anteil der SGB II Hilfeempfänger zunehmen wird. Diese Entwicklung wird zunächst bis 2015 weiter Bestand haben, zumal die Mittelkürzungen im Bereich der Eingliederungsmaßnahmen bereits bis zum Jahre 2015 beschlossen wurden. In Zahlen bedeutet dies, dass für 2010 noch ca. 2,2 Mio. Euro Eingliederungsmittel vom Bund zur Verfügung gestellt wurden, während bereits 2011 noch ca. 2,0 Mio. Euro zur Verfügung stehen und für 2012 derzeit lediglich mit 1,5 Mio. Euro gerechnet werden kann.

 

Eine weitere Einschränkung ist bei den Existenzgründungen von Hilfeempfängern vorgesehen. Hier wird zunächst der Rechtsanspruch auf eine solche Existenzgründung in eine Ermessensentscheidung der Jobcenter umgewandelt. Allein in dem Bereich der Existenzgründungen ist eine Reduzierung der verfügbaren Mittel um bundesweit ca. 1 Milliarde Euro geplant. Nachdem nach der bundesweiten Statistik zuletzt mehr Frauen als Männer in die Existenzgründung gegangen sind, wird es gerade für Frauen zu größeren Einschränkungen bei den Integrationen führen.

 

Eine weitere gravierende Einschränkung ist bei der Förderung von Arbeitnehmern über 50 Jahre geplant. Hier besteht derzeit die Möglichkeit, bei Eintritt in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis – z.B. nach einer Arbeitsgelegenheit (1 Euro-Job) einen Eingliederungszuschuss für insgesamt 36 Monate zu gewähren. Diese Förderdauer soll nach dem Entwurf des Gesetzes auf 12 Monate reduziert werden. Dies würde sich nach Einschätzung des Jobcenters auch in unserem Bereich sehr nachteilig für die Integration älterer Arbeitnehmer ab 50 Jahre auswirken.

 

Weitere drastische Einschränkungen wird es bei den Maßnahmen im Bereich der Arbeitsgelegenheiten geben, den sogenannten öffentlich geförderten Beschäftigungen. Dieses Instrument spielt jedoch gerade bei SGB II Leistungsempfängern eine wichtige Rolle. Dies wird um so bedeutsamer, da der Anteil der Arbeitslosengeld II‑Bezieher im Verhältnis zu den Arbei9tslosengeld‑I‑Beziehern weiterhin stetig zunehmen wird.

 

Die geplanten Einschränkungen für Arbeitsgelegenheiten verhindern Flexibilität und Passgenauigkeit für die Langzeitarbeitslosen-Hilfeempfänger. Die Kürzung der Betreuungspauschale für sozialpädagogische Aufwendungen darf nicht zu dem Ergebnis führen, dass gerade bei dieser Zielgruppe notwendige sozialpädagogische Betreuungen aus der Finanzierung herausgenommen werden. Für das Jobcenter des Landkreises betrifft dies ganz besonders das Sozialkaufhaus „Hat was“ der Brauchbar gGmbH in Ochsenfurt.

 

Über die an die Arbeitsgelegenheit gerichteten Kriterien „öffentlich“, „zusätzlich“ und „wettbewerbsneutral“ muss verbindlich vor Ort unter Einbeziehung von Wirtschaft, Gewerkschaft und gesellschaftlichen Gruppierungen entschieden werden können. Gerade bei den Arbeitsgelegenheiten muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass für viele Teilnehmer nicht nur die Effizienz der Maßnahme an einer Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt bewertet wird, sondern dass die Arbeitsgelegenheiten als Einstieg für weitere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gesehen werden müssen und einen wichtigen Schritt zur gesellschaftlichen Integration Langzeitarbeitsloser Menschen bedeuten.

 

Frau stv. Landrätin Schäfer bewertet die gesetzliche Entwicklung, insbesondere die Kürzung der Mittel als wenig zielführend, da es zukünftig noch schwieriger werden wird, Menschen mit vielen Vermittlungshemmnissen in den ersten oder auch zweiten Arbeitsmarkt zurückzuführen. Sie sieht deshalb die gesetzliche Entwicklung nicht unbedingt im Einklang mit den bundesweiten Ergebnissen des Benchmarking.

 

Frau Schäfer bittet nun um weitere Wortbeiträge.

 

Herr Kreisrat Rüger sieht unter der Notwendigkeit der Wettbewerbsneutralität in Bezug auf die Einrichtung von Arbeitsgelegenheiten ein „k.o.‑Argument“. Es wird damit nicht der Situation Rechnung getragen, dass die Hilfeempfänger im SGB II einen besonderen Förderbedarf haben, der über reguläre Arbeitsverhältnisse sicher nicht erfüllt werden kann.

 

Herr Kreisrat Mühleck sieht ebenfalls ein Problem für die Gemeinden insoweit, dass die Absicht des Bundes, im Gesetz die stärkere Einforderung kommunaler Mittel nicht ohne Widerspruch hingenommen werden kann. Er sieht hier die Rolle der kommunalen Spitzenverbände, die finanziellen Interessen der Kommunen zu vertreten.

 

Frau Kreisrätin Schraud bewertet die Kürzung der Eingliederungsmittel und die zukünftige Förderung öffentlicher Beschäftigungsverhältnisse für sehr schwierig. Bei den Kürzungen im Bereich der Existenzgründungen fragt sie nach den tatsächlichen Auswirkungen, da sie davon ausgeht, dass bei Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen Existenzgründungen wohl kaum in Frage kommen.

 

Des Weiteren stellt sich die Frage, wie sich die Kürzungen auf die Hilfeempfänger insgesamt auswirken.

 

Herr Blenk erläutert, dass bei den Existenzgründungen sowohl Arbeitslosengeld I‑Empfänger als auch Arbeitslosengeld II‑Empfänger betroffen sind. In der Mehrzahl wird es jedoch Empfänger von Arbeitslosengeld I betreffen, da, wie bereits von Frau Schraud vermutet, im SGB II weniger geeignete Personen für eine Existenzgründung betreut werden. Es sollen natürlich auch aus den Erfahrungen der sogenannten „ICH-AG’s“ von vorneherein nur tragfähige Konzepte und Personen weiter gefördert werden. Im Jobcenter des Landkreises Würzburg werden deshalb vor jeder Existenzgründung eine notwendige Beratung bei der HWK‑Service‑GmbH vorgeschaltet. Erst wenn von dort aus gegenüber dem Jobcenter das vorgelegte Konzept für tragfähig eingeschätzt wird, wird dies auch von unserer Seite weiter gefördert.

 

Zur Frage der Kürzung der Eingliederungsmittel bei rückläufiger Entwicklung der Hilfeempfänger gibt Herr Blenk zu bedenken, dass bei der Mittelreduzierung nicht berücksichtigt wurde, dass die im System verbleibenden Hilfeempfänger immer betreuungsintensiver werden und damit für weniger Teilnehmer höhere Kosten verursacht werden.

 

Es darf die sozialpolitische Wirkung dabei nicht außer acht bleiben. Die Konsequenz wäre, dass im Rahmen der sogenannten „Sockelbildung„ ein immer größer werdender Anteil von Hilfeempfängern in andere Leistungssysteme wie z.B. die Sozialhilfe einmünden würde und das zum Teil in einem Alter, in dem noch eine aktive Beteiligung am Arbeitsmarkt noch über Jahrzehnte notwendig wäre. Es ist auch hierbei der Grundsatz des SGB II des „Förderns und Forderns“ zu berücksichtigen. Herr Blenk erläutert hierzu nochmals, dass es zukünftig bei vielen Hilfeempfängern sicher schwieriger werden wird, mit einem arbeitsmarktpolitischen Instrument gleich eine Integration in den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt zu erreichen, sondern dass Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration aufeinander aufbauen müssen und für jede Maßnahme einzelne Integrationsfortschritte nachzuweisen sind.

 

Frau Kreisrätin Schraud legt noch mal Wert auf die Feststellung, dass es ihr grundsätzlich darum geht, dass eingerichtete Maßnahmen auch nach ihrer Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit überprüft werden.

 

Herr Blenk stellt hierzu fest, dass inzwischen auch die Jobcenter in kommunaler Verantwortung diese Nachhaltigkeit von Maßnahmen in jedem Einzelfall belegen müssen. Zusätzlich ist dies Teil der mit jedem einzelnen Hilfeempfänger abzuschließenden Eingliederungsvereinbarung.

 

Herr Kreisrat Mühleck spricht sich im Bezug auf den zukünftigen Fachkräftemangel dafür aus, dass wie in den 60er und 70er Jahren durch den Bund qualifizierende Umschulungsmaßnahmen eingerichtet werden. Er hält die kurzfristigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen für die Beseitigung des Fachkräftemangels für nicht ausreichend.

 

Frau Kreisrätin Reuther unterstützt die Vorstellung der weiteren Qualifizierung durch Umschulungsmaßnahmen, gibt jedoch zu bedenken, dass dies bei den Hilfeempfängern im SGB II sicher nicht so einfach sein wird. Ein Schwerpunkt in dieser Frage ist deshalb auf den Kundenkreis der unter 25jährigen zu richten, damit den jungen Menschen wieder verstärkt berufliche Perspektiven geboten werden können. Frau Reuther sieht auch mit der Problematik der Wettbewerbsneutralität große Probleme auf die Jobcenter und das dort zu betreuende Klientel zukommen. Sie sieht auch das Grundsatzproblem, dass jede Tätigkeit, die über eine Arbeitsgelegenheit verrichtet wird, nicht wettbewerbsneutral sein kann, da es sicher irgendeinen Betrieb gibt, der die gleiche Tätigkeit anbietet. Sie sieht auch die Problematik, diese Interessen über den Beauftragten für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt im örtlichen Beirat im Sinne des betroffenen Klientels lösen zu können. Frau Kreisrätin Reuther und Herr Kreisrat Rüger sehen die angedachten Lösungen in der Instrumentenreform nicht aus der Sicht der Hilfeempfänger bedacht.

 

Nachdem keine weiteren Wortbeiträge mehr gewünscht sind, schließt Frau stv. Landrätin Schäfer den Tagesordnungspunkt 3 mit dem Hinweis, dass diese gesetzliche Entwicklung und die Probleme bei der Umsetzung den Sozialausschuss auch weiterhin intensiv beschäftigen werden und dass es Aufgabe des Sozialausschusses ist, dem Jobcenter geeignete Möglichkeiten zu geben, um erfolgreich weiter zu arbeiten.