Beschluss: einstimmig beschlossen

Sachverhalt:

 

Mit einer Implementierungskonferenz im November 2017 startete das Interkommunale Präventionsnetzwerk Radikalisierung in Stadt und Landkreis Würzburg. Gefördert wird das Projekt durch das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales im Zeitraum Mai 2017 bis Dezember 2019. Die Förderung beinhaltet je eine 50% VZE-Stelle sozialpädagogische Fachkraft in Stadt und im Landkreis Würzburg, sowie anteilige Veranstaltungskosten bei einem mindestens 10%-igen Eigenfinanzierungsanteil der beteiligten Kommunen.

 

Das Netzwerk hat die Aufgabe, über religiös motovierte Radikalisierungs- und Ideologisierungstendenzen zu informieren und zu sensibilisieren, sowie geeignete Maßnahmen zur Prävention einer Radikalisierung anzubieten. Dies geschieht auf drei Ebenen:

 

Netzwerkebene

Verantwortliche aus den Bereichen Jugendhilfe, Schule, Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Berufsförderung und Polizei schließen sich zu einem interkommunalen Netzwerk zusammen. Wesentliche Inhalte sind

  • jährlich stattfindende Fachtagungen
  • Schulungs- und Informationsveranstaltungen
  • Informations- und Kontaktplattform

 

Multiplikatorenebene

Angebote für pädagogische Fachkräfte in der Jugendhilfe und Betreuung, in Schule und Beruf, aber auch für Eltern sowie ehrenamtliche Jugend- und Übungsleiter in Vereinen und Verbänden:

  • Schulung- und Informationsveranstaltungen, wie z.B. "Radikal!reduziert"
  • Lehrerfortbildungen
  • Fortbildungen für Beschäftigte von betroffenen Behörden
  • Elternabende

Vortragsmodule und Workshops in diesem Bereich sind auf der Homepage des Präventionsnetzwerkes veröffentlicht:

http://interkommunales-praeventionsnetzwerk-radikalisierung-wuerzburg.de

 

Zielgruppenebene

Projekte und Veranstaltungen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit und ohne Migrationshintergrund aus allen sozialen Herkunftsfamilien

  • Projekt "anderLand" (Projekt zum interkulturellen und interreligiösen Austausch)
  • Projekt "T…mobil" (erlebnispädagogisch orientiertes Projekt zur Steigerung sozialer Kompetenzen)
  • Projekt "NeWeR" (Workshop zur Gewaltprävention)

 

Darüber hinaus stehen die Koordinatoren des Netzwerkes in Stadt und Landkreis Würzburg zur Beratung, zur Weitervermittlung an andere Fachstellen, insbesondere aber auch bei Fragen der Intervention zur Verfügung.

 

Herr Schwab, verantwortlich im Amt für Jugend und Familie für das Präventionsnetzwerk, stellt Angebote und Erfahrungswerte der bisherigen Tätigkeit vor.

 

Zum 29.02.2020 läuft die staatliche Förderung aus. Eine Förderung über diesen Termin hinaus wurde vom Ministerium von Anfang an nicht in Aussicht gestellt, so dass zu klären ist, ob und wenn ja in welchem Umfang das Angebot aus eigenen Mitteln aufrecht erhalten bleiben soll. Die Stadt Würzburg hat bereits ihren starken Willen nach einer Verstetigung des Angebotes mitgeteilt. Auch das Amt für Jugend und Familie im Landkreis Würzburg befürwortet eine Weiterführung aus folgenden Gründen:

 

  • Das interkommunale Präventionsnetzwerk hat sich in seiner inhaltlichen Ausrichtung bewährt, die bisherigen Angebote bestätigen den Bedarf.
  • Die Kooperation verschiedenster Fachstellen, z. B. Jugendhilfe, Migrationsarbeit und Polizei (operativer Staatsschutz) ermöglicht neue Strategien und optimiertes Handeln.
  • Hinsichtlich der vorgenannten Handlungsebenen (Netzwerk – Multiplikatoren – Kinder/Jugendliche) kommt insbesondere der pädagogischen Arbeit mit der unmittelbaren Zielgruppe Kinder und Jugendliche eine besondere Bedeutung zu. Hiermit hat das Präventionsnetzwerk erst begonnen, einen Weiterführung wird aus Sicht des Amtes für Jugend und Familie als wichtig eingestuft. Ein dauerhaftes Veranstaltungsformat ist insbesondere auch deshalb wichtig, da im Laufe der Zeit immer wieder neu heranwachsende Kinder und Jugendliche dazu kommen.
  • Die vom Ministerium ursprünglich auferlegte Beschränkung auf salafistische und religiös motivierte Radikalisierung kann bei eigener Regieführung sinnvoll erweitert werden auf Inhalte wie Rechts- und Linksradikalismus, Antisemitismus, identitäre oder andere demokratiefeindliche Strömungen.
  • Ein solches Projekt sollte aufgrund der überörtlichen Wirksamkeit demokratiefeindlicher Akteure einerseits, sowie aufgrund der gleichermaßen überörtlichen Netzwerkstruktur der Partner im Präventionsnetzwerk andererseits als interkommunales Projekt aufgestellt sein.

 

Aus diesem Grund empfiehlt das Amt für Jugend und Familie eine Weiterführung des Projektes

-       ohne Laufzeitbegrenzung

-       Stellenumfang: 50 % VZE sozialpädagogische Fachkraft

 

Kostenkalkulation:

 

50% VZE sozialpädagogische Fachkraft                                           38.000,00 €

Sachkosten                                                                                         10.000,00 €

Gesamtaufwand                                                                                 48.000,00 €

 

Debatte:

 

Herr Rostek führt in den Sachverhalt ein.

 

Herr Schwab, ist seit über 20 Jahren im Jugendamt des Landkreises Würzburg für mobile soziale Projekte zuständig. Insbesondere sind dies Projekte der Gewaltprävention und der sozialen Kompetenz. Aus diesem Grund war es naheliegend, das Präventionsnetzwerk bei Herrn Schwab fachlich anzusiedeln. Handlungsschwerpunkt ist die Prävention und nicht die Intervention. Im letzteren Zusammenhang spielt das Netzwerk aber eine wichtige Rolle, da in diesem auch Verfassungsschutz, operativer Staatsschutz und andere polizeiliche bzw. ordnungsrechtliche Behörden beteiligt sind. Dies ermöglicht es, über die Prävention hinaus auf kurzem Wege Interventionen im Einzelfall in Gang zu setzen. Grundlage der Arbeit ist ein breit angelegtes Netzwerk von Sicherheitsbehörden, Jugendhilfe, Schulen, berufliche Bildung und non-formale Bildung. Das Netzwerk insgesamt hat großen Einfluss auf die Arbeit des Präventionsnetzwerkes. So wird z. B. der große Fachtag im Herbst 2019 auf Wunsch des Netzwerkes sich mit dem Thema der Verrohung und Radikalisierung der Sprache befassen.

 

Ein wichtiger Handlungsbaustein ist die Multiplikatoren-Ebene. Das Projekt „Radikal!reduziert“ zielt auf die Fortbildung und Sensibilisierung verschiedenster Multiplikatoren, von Jugendleitern und Übungsleitern, über sozialpädagogische Fachkräfte, bis hin zu Lehrkräften. Wichtigster Baustein ist aber die Präventionsarbeit mit der unmittelbaren Zielgruppe Kinder und Jugendliche. Aktuell wurde hier z. B. über die Schulen ein Präventionstheater angeboten, um die Diskussion zwischen den Schülern anzuregen, oder auch das Projekt „anderLand“, ein Angebot speziell für Übergangsklassen, oder Klassen mit hohem Migrationsanteil, um einen jugendgerechten, interkulturellen Austausch und Verständigungsprozess zu bewirken.

 

Herr Schwab betont die Wichtigkeit pädagogischer Projekte für deutsche und neuzugewanderte Jugendliche, auch wenn diese zeitaufwändiger sind als die anderen Bausteine im Präventionsnetzwerk. Letztendlich kann man vor allen Dingen auf dieser Ebene effektive Präventionsarbeit leisten, wenn die Angebote kontinuierlich und langfristig organisiert sind. Durch seine langjährige Tätigkeit in der mobilen Jugendarbeit im Landkreis Würzburg konnte Herr Schwab bereits bestehende und eingeführte Angebotsformen und Methoden auf das neue Arbeitsfeld anwenden. So das Projekt „Teenmobil“ (erlebnispädagogisches Projekt zur Erhöhung der sozialen Kompetenz und zur Verbesserung von Gruppenprozessen), sowie das Projekt „NeWeR“ (gewaltpräventives Projekt mit hohem Lebensweltbezug).

 

Abschließend weist Herr Schwab darauf hin, dass das Präventionsnetz nie so eng geknüpft werden kann, dass nichts mehr passiert, allerdings können wir im präventiven Bereich alles Menschenmögliche tun, um künftige Gewalt zu verhindern.

 

Herr stellvertretender Landrat Joßberger bedankt sich insbesondere bei Herrn Schwab für die gute und wahrnehmbar engagierte und wichtige Arbeit, die er leistet. Aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Sonderpädagoge an der Don Bosco Schule ist ihm die dringende Notwendigkeit der Präventionsarbeit sehr bewusst und es ist ihm auch bewusst, dass diese Arbeit nur mit hohem persönlichem Engagement gut geleistet werden kann.

 

Auf die Frage aus dem Ausschuss, wie der 10 %-ige Eigenfinanzierungsanteil zu verstehen ist, erläutert Herr Rostek, dass nach den bestehenden Förderrichtlinien 90 % der förderfähigen Kosten, dies sind insbesondere Personal- und Veranstaltungskosten, vom Freistaat übernommen werden. Die verbleibenden 10 % muss der Landkreis als Eigenfinanzierungsanteil im Verwendungsnachweis aufführen.

 

Eine weitere Frage aus dem Ausschuss bezieht sich auf die Beschlusslage ohne Laufzeitbegrenzung. Kann der Jugendhilfeausschuss eine Stellenausweitung ohne Laufzeitbegrenzung überhaupt beschließen? Herr Rostek weist darauf hin, dass es sich bei der Stellenmehrung nicht um eine freiwillige Leistung, sondern um eine subsidiäre Pflichtleistung, d. h. eine Aufgabe nach § 13 SGB VIII handelt.

 

Frau Kreisrätin Wild fragt an, ob aufgrund der Informations- und Aufklärungsveranstaltungen für Multiplikatoren die Aufmerksamkeit und Sensibilität der Beteiligten gesteigert werden konnte. Herr Pfeuffer, Leiter des staatlichen Schulamtes, weist darauf hin, dass Präventionsangebote an Schulen und Sensibilisierung der Lehrkräfte Effekte erzielen, diese aber immer wieder aufgefrischt werden müssen.

 

Herr stellvertretender Landrat Joßberger ergänzt hierzu, dass Präventionsarbeit nicht durch ein einmaliges Angebot erledigt ist, sondern nur als Daueraufgabe sinnvoll wirksam sein kann. Herr Pfeuffer ergänzt, dass in den letzten zwei bis drei Jahren ihm keinerlei radikalisierte Tendenzen innerhalb seiner Schulen bekannt wurden. Auch Herr Schmitt, Polizeiinspektion Würzburg-Land, kann keine radikalisierten Vorfälle im schulischen Bereich in den letzten Jahren feststellen.

 

Herr Schwab berichtet aus eigener Erfahrung, dass durch das Präventionsnetzwerk die Radikalisierungsthematik im Jugendamt wesentlich präsenter ist. So gab es in letzter Zeit einen Fall, der in Zusammenarbeit mit dem Allgemeinen Sozialdienst und dem Operativen Staatsschutz schnell und gut bearbeitet werden konnte.


Beschlussvorschlag:

 

Der Jugendhilfeausschuss empfiehlt dem Kreistag die Zustimmung zur Weiterführung des Präventionsnetzwerkes Radikalisierung unter folgenden Vorgaben:

 

-       Stellenumfang 0,5 VZE Sozialpädagogische Fachkraft

-       Laufzeit unbegrenzt

-       Konzeptionelle Ausrichtung wie dargestellt

 

Die entsprechenden Mittel werden im Rahmen der Beratungen zum Jugendhilfehaushalt in der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 04.11.2019 vorgelegt.

 

Beschluss:

 

Der Jugendhilfeausschuss empfiehlt dem Kreistag die Zustimmung zur Weiterführung des Präventionsnetzwerkes Radikalisierung unter folgenden Vorgaben:

 

-       Stellenumfang 0,5 VZE Sozialpädagogische Fachkraft

-       Laufzeit unbegrenzt

-       Konzeptionelle Ausrichtung wie dargestellt

 

Die entsprechenden Mittel werden im Rahmen der Beratungen zum Jugendhilfehaushalt in der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 04.11.2019 vorgelegt.