Sitzung: 28.09.2015 Jugendhilfeausschuss
Beschluss: einstimmig beschlossen
Sachverhalt:
Die Veranstaltungsreihe „forum jugendhilfe“ befasste sich in seiner letzten Veranstaltung am 10.06.2015 mit dem Thema „Zeit für Familie - Zeit für Kinder“. Hierzu konnten zwei hochkarätige und versierte Experten aus Wissenschaft und Praxis nach Würzburg geholt werden:
· Prof. Dr. Helmut Schneider, Steinbeiß-Hochschule Berlin,
Mitautor des 8. Familienberichts der Bundesregierung
· Günter Katheder-Göllner, Familienbeauftragter im Landratsamt Donau-Ries,
Erfahrungen zur kommunalen Zeitpolitik für Familien im Landkreis Donau-Ries
Ein „unspektakuläres“ Beispiel aus dem Jahresbericht 2014 der Caritas für Würzburg Stadt und Land verdeutlicht das Problem der Zeitgestaltung, des Zeitmanagements für Familien als alltägliches Problem. Dort ist die Situation einer alleinerziehenden Mutter im südlichen Landkreis erwähnt:
Sie lebt im Ochsenfurt Gau und ist als Altenpflegerin tätig. 3 ihrer 4
Kinder besuchen eine Förderschule und werden deshalb schon früh vor 7:00 Uhr
von zu Hause abgeholt. Vor Arbeitsbeginn bringt die Mutter das 4. und jüngste
Kind in einen Kindergarten im Nachbarort. Nach der Arbeit werden zuerst das
Kindergartenkind und anschließende die Schulkinder in unterschiedlichen
Ortschaften eingesammelt. Zusätzliche Fahrtzeiten müssen in Kauf genommen
werden, damit die Kinder ihre Schulfreundschaften pflegen können, damit sie in
Vereinen aktiv sein können, beides in anderen Ortschaften und an vielen Tagen
in der Woche.
Die Teilhabe dieser Familie am kulturellen und sozialen Leben im ländlichen Raum ist symptomatisch, bindet viel Zeit und kostet Geld.
Lebensstandard und Lebensqualität in unserer Gesellschaft sind zwar nach wie vor bestimmt durch materielle und finanzielle Versorgung, immer mehr aber geht es um den wertvollen Faktor „Zeit“.
Ganz besonders sind Familien von Zeitkonflikten betroffen, da Familien zunehmend nicht mehr über die „Zeitpuffer“ früherer Jahre verfügen. Gründe sind:
· Doppelbelastung von Beruf und Familie,
· das Kümmern um Kinder und pflegebedürftige Angehörige,
· aber auch die Gestaltung von persönlichen Interessen, Freizeit und kulturellen Ansprüchen
· sowie des ehrenamtlichen Engagements
All dies beansprucht das begrenzte Zeitbudget der Familien. Da entstehen Zeitkonflikte, Stress- und Bewältigungsprobleme.
Kommunale Familienpolitik heißt, einen Beitrag zur Verbesserung der Zeit-Souveränität von Familien zu leisten. Zu Recht sagt der 8. Familienbericht: „Familien brauchen Zeit, um überhaupt als Familie zu existieren und sich als solche erfahren zu können“.
Im Folgenden werden die Ergebnisse des forum jugendhilfe kurz dargestellt. Verbunden damit ist die Überlegung, ob „kommunale Familienzeitpolitik“ auch ein Thema für den Landkreis Würzburg ist.
Forum Jugendhilfe „Zeit für Familie - Zeit für Kinder“
Kommunale Familienzeitpolitik -
ein Modell für den Landkreis Würzburg?
Zusammenfassung der
Workshopergebnisse
Grundsätzliche Überlegungen:
·
Familie ist nicht
gleich Familie; unterschiedliche Familienformen haben unterschiedliche
Zeitpräferenzen und Zeitkonflikte
Gibt es wirklich weniger Zeit oder hat sich
die Nutzung verändert?
·
Es geht nicht nur
um mehr Zeit, sondern auch um die Qualität
·
Landkreis -
Gemeinden: Familienzeitpolitik auf beiden Ebenen thematisieren
Handlungsfelder:
·
Schlüsselqualifikationen
für Familien:
Ø
Elterliche
Verantwortung
Ø
Familiäre
Atmosphäre (stressfrei)
Ø
Tagesstruktur
in Familien
·
Örtliche
Netzwerke und Information, z.B.
Ø
Nachbarschaftshilfen
Ø
Zeittauschbörsen
Ø
Fahrdienste
·
Kindertagesbetreuung
Ø
Internetbörse
Ø
Notfallbetreuung
Ø
Interkommunale
Absprache/Zusammenarbeit Ferienbetreuung (Kindergarten und Schulkinder);
Koordination durch Landkreis?
Ø
Infobörse
über Ferienbetreuungsangebote der Gemeinden, Ferienspielplätze
Ø
Erweiterte
Öffnungszeiten der Ferienspielplätze
·
ÖPNV
Ø
Welcher
Bedarf z. B. für schlecht angebundene Gemeinden besteht überhaupt (z.B. südl.
Landkreis)
Ø
Zeittaktung
Ø
Bundeslandübergreifend
·
Öffnungszeiten,
z.B.
Ø
Dienstleister
Ø
Ärzte
Ø
Beratungsangebote
Debatte:
Herr Rostek ergänzt auf der Grundlage verschiedener Bundesweiter
Studien (Umfrage der Zeitschrift Eltern 2015; Zeitverwendungserhebung des
Statistischen Bundesamtes 2013), die nachdrücklich die Notwendigkeit einer
kommunalen Familienzeitpolitik belegen.
Frau stellv. Landrätin Haupt-Kreutzer betont die für sie wichtige
Aussage, dass es nicht nur darum geht, dass weniger Zeit in der Familie zur
Verfügung steht, sondern dass die überlappenden Zeitfenster in den Familien
Engpässe verursachen. Für Familien wird es deswegen zunehmend schwierig,
gemeinsame Zeitfenster zu finden, die nur ihnen zur Verfügung stehen. In diesem
Zusammenhang schließt sie sich den Ausführungen des Jugendamtes an und bittet
um eine Beauftragung zur Erstellung eines Konzeptes. Auch hinsichtlich der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf gibt es noch viel zu tun.
Frau Rottmann-Heidenreich, Gleichstellungsbeauftragte, teilt die
Einschätzungen des Jugendamtes und bietet ihre Kooperation an. Sie ergänzt
jedoch, dass die Geschlechterrollen nach wie vor im hohen Maße vordefiniert
sind. Deshalb appelliert sie an die Verantwortung der Männer und Väter im
Bereich der Kindererziehung und der Familienarbeit. Lebenswelten von Müttern
und Vätern sind unterschiedlich, das muss in einem solchen Prozess
berücksichtigt werden.
Herr Schrappe, Evangelisches Beratungszentrum, ergänzt, dass in dem
Zusammenhang der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die immer
frühzeitigeren Dauerbetreuungen von Kindern, Kinderbedürfnisse und
Bindungsbedürfnisse nicht aus dem Auge verloren werden dürfen. Hinsichtlich des
Beschlussvorschlages fragt er an, wer denn die angefragten Akteure sein sollen.
Dies können ja nicht nur Vertreter der Jugendhilfe sein, sondern müssten auch
aus anderen Bereichen kommen. In diesem Zusammenhang bringt er das Bündnis
Familie und Arbeit in der Region Würzburg ins Gespräch.
Herr Rostek weist darauf hin, dass das Bündnis Familie und Arbeit nicht
der adäquate Ansprechpartner wäre, da dieses Bündnis sich ausschließlich an
Aktivitäten an Personalverantwortliche in Firmen und Betrieben richtet, nicht
aber an Eltern direkt. Herr Rostek ergänzt weiterhin zum Beschlussvorschlag,
dass es sich noch nicht um die Umsetzung einer Kommunalen Familienzeitpolitik
im Landkreis Würzburg handelt und auch nicht um den Einstieg in den Prozess,
sondern um einen Auftrag des Jugendhilfeausschusses, ein tragfähiges Konzept zu
entwickeln und dann neuerlich zur Beratung im Jugendhilfeausschuss vorzulegen.
Erst auf Grundlage eines Konzeptes könne eine Entscheidung getroffen werden, ob
der Landkreis Würzburg Kommunale Familienzeitpolitik als familienpolitische
Handlungsleitlinie einführt.
Herr Meixner, Sozialdienst Katholischer Frauen, hat als Teilnehmer am
„forum jugendhilfe“ die Präsanz des Themas erkannt und würde eine Umsetzung im
Landkreis Würzburg empfehlen. Frau Kreisrätin Schäfer bestätigt diese Sicht und
ergänzt die Notwendigkeit, einerseits Schwerpunkte zu entwickeln, andererseits
sich aber auch auf einen längerfristigen Prozess einzulassen.
Beschluss:
Die Jugendhilfeplanung wird beauftragt, erste konzeptionelle Ideen zur Umsetzung kommunaler Familienzeitpolitik im Landkreis Würzburg zu entwickeln und diese 2016 zur Entscheidung im Jugendhilfeausschuss vorzulegen.