Sitzung: 11.03.2022 Kreistag
Beschluss: zur Kenntnis genommen
Anlage/n: Präsentation
Sachverhalt:
Der Behindertenbeauftragte, Ernst
Joßberger, berichtet anhand einer Präsentation über seine Arbeit.
(Folie 1 Bericht)
„Sehr geehrter
Herr Landrat,
liebe Kolleginnen
und Kollegen,
sehr verehrte Damen und Herren
Mein 1. Bericht dieser Sitzungsperiode umfasst den Zeitraum Januar 2020
bis einschließlich Februar 2022. Nachdem ich nach meiner erneuten Beauftragung
im Juli 2020 im Kreistag die Aufgaben und Ziele als Behindertenbeauftragter
vorgestellt habe, möchte ich heute fünf Schwerpunkte ansprechen, die Ihnen
Einblicke in meine praktische Tätigkeit und meine Vorstellungen geben sollen.
Als erstes ein
1.
Kurzrückblick auf einige Aktivitäten
Örtliche Behindertenbeauftragte
Damit die Belange von Menschen mit Behinderung besser in den Gemeinden
vertreten werden, habe ich vor den konstituierenden Sitzungen im Mai 2020
Kontakt mit allen Gemeinden aufgenommen mit der Bitte, eine/n örtlichen
Behindertenbeauftragten zu installieren.
(Folie 2 Landkreiskarte)
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: In 36 unserer 52 Landkreiskommunen
gibt es mittlerweile gemeindliche AnsprechpartnerInnen. Um diese in ihren
Aufgaben zu unterstützen, hatte ich zweimal zu Treffen eingeladen, die
allerdings coronabedingt kurzfristig abgesagt werden mussten. So habe ich allen
zumindest eine schriftliche Handreichung zukommen lassen und stehe
selbstverständlich telefonisch oder auch persönlich mit ihnen in Kontakt. Diese
Zusammenkunft in Präsenz wird so bald als nur möglich wieder angeboten.
Bundestagswahl 2021 (Folie 3 Bundestagswahl)
Zur Bundestagswahl 2021 habe ich mit schriftlichen Informationen alle
Wahlleiter in den Gemeinden auf die grundlegenden Änderungen bei dieser Wahl
aufmerksam gemacht und auch Info-Broschüren in leichter Sprache für Betroffene
zur Verfügung gestellt. Ein voller Erfolg, weil mit großer Resonanz, war die
Inklusive Veranstaltung zur Wahl, die ich mitbeworben und mitbegleitet habe, im
Rathaussaal der Stadt Würzburg in Präsenz und zeitgleich digital.
Impfzentrum Giebelstadt
Bevor
es die Möglichkeit des Impfens gegen Covid-19 in den Arztpraxen gab, gab es
-nur- die Angebote in den Impfzentren. (Folie 4/Bild Impfzentrum)
Nach Absprache besuchte meine Kollegin aus der Stadt das Impfzentrum Talavera
und ich das Zentrum in Giebelstadt. So konnten wir uns vor Ort überzeugen, dass
auch Menschen mit Handicaps gut betreut wurden.
Seniorenpolitisches Gesamtkonzept und Workshops Landratsamt
(Folie
5 Fortschreibung)
Zu weiteren Aktivitäten gehörten beispielsweise auch meine Mitarbeit am
Seniorenpolitischen Gesamtkonzept, das Mitwirken bei der
Sportentwicklungs-planung des Landkreises und die Teilnahme an den
vorbereitenden Workshoptagen für die Mitarbeitenden zur Planung des
Erweiterungsbaus des Landratsamtes.
2.
Netzwerk pflegen und aufbauen (Folie 6
Kontaktpflege)
Um wirksam und erfolgreich die Interessen der Menschen mit Behinderung
und deren Familien zu vertreten, ist mir ein breitangelegtes Netzwerk sehr
wichtig. Einige Beispiele:
So stehe ich in Kontakt mit dem Büro des Behindertenbeauftragten der
Staatsregierung Herrn Kiesel, nehme am Treffen der Behindertenbeauftragten auf
Bezirksebene teil und pflege enge Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen der
Beratungsstelle der Stadt und natürlich mit dem neuen Behindertenbeauftragten
von Würzburg, Herrn Julian Wendel.
Wichtig ist mir ein regelmäßiger Austausch mit den EUTBs, den
ergänzenden unabhängigen Beratungsstellen in unserer Region, insbesondere mit
der von WüSL und der des Integrationsfachdienstes, die auch
Vor-Ort-Beratungsangebote in vier Landkreiskommunen anbieten.
Weil das ZBFS Zentrum
Bayern Familie und Soziales mit dem Inklusionsamt für Meschen mit Behinderung
besondere Bedeutung hat, haben wir, Frau Schiller, Frau Marschall und ich dort
einen Informations- und Austauschbesuch in der Georg-Eydel-Straße abgestattet.
Denn, wenn man sich persönlich kennt, lassen sich manche Probleme leichter
lösen.
Das gilt ebenfalls für das letzte Beispiel. Ich bin froh, dass ich inzwischen
Kontakte zu den entsprechenden Stellen in der Verwaltung des Bezirks
Unterfranken aufbauen konnte, um Anliegen von Betroffenen, die sich an mich
wenden, möglichst zufriedenstellend und zeitnah erledigen zu können. Dies gilt
natürlich auch für weitere Anlaufstellen.
3.
Stellungnahmen zu Bauvorhaben
Als 3. Thema dürfen natürlich meine pflichtgemäßen Stellungnahmen nicht
außen vor bleiben. Wie in unserer
Satzung vorgesehen, gehören zu meinen wesentlichen Aufgaben, die Stellungnahmen
zur Barrierefreiheit von Bauvorhaben. Und da war im Berichtszeitraum einiges zu
tun. (Folie 7 Stellungnahmen)
Denn in den Gemeinden herrscht rege Bautätigkeit, das wissen Sie ja selbst.
Sanierungen, Zwischenlösungen und Neubauten beispielsweise für
Kindertages-stätten, Schulen und Rathäuser. Oder auch Maßnahmen im Rahmen der
Städtebauförderung, Verkehrskonzepte und anders mehr stehen an.
Als besondere
Projekte möchte nur erwähnen das Institut für Bienenkunde und Imkerei an der
Landesanstalt Veitshöchheim, unsere Baumaßnahme an der Main-Klinik Ochsenfurt,
größere Senioren- und Wohnanlagen oder auch Hotelbauten in einigen Kommunen.
Meine Vorgehensweise dabei ist transparent. Bei Neubauten
gelten die gesetzlichen Vorgaben und insbesondere die Leitfäden der Obersten
Baubehörde und der Bayer. Architektenkammer als Planungsgrundlagen für
Barrierefreies Bauen nach der entsprechenden DIN 18040 - 01, 02, 03.
Bei Sanierungen
oder Umbauten von Bestandsgebäuden müssen die Gegebenheiten vor Ort im
Einzelfall berücksichtigt und praktikable Lösungen gefunden werden. Nicht
selten durch Vorgespräche oder auch durch eine Ortseinsichtnahme, am besten vor
Einreichen der Eingabepläne. Rückmeldungen belegen, dass sich dieses Vorgehen
bewährt hat und es mittlerweile bei den meisten Gemeinden und auch bei den
Planungsbüros angekommen ist.
4.
Wichtige Handlungsgelder/Projekte
des Landkreises
In unserer Satzung ist in § 5 auch festgelegt: „Die/der
Behindertenbeauftragte wird bei allen Aktivitäten des Landkreises beteiligt,
welche sich auf Menschen mit Behinderung auswirken.“ Das veranlasst mich,
in meinem heutigen Bericht kurz auf drei anstehende Handlungsgelder/Projekte
des Landkreises einzugehen.
ÖPNV
Als erstes muss ich erneut das „Megathema“ ÖPNV ansprechen. Wie sieht es bei
uns mit der angestrebten Barrierefreiheit im Öffentlichen Bereich aus? Jüngst
war in der Main Post eine Übersicht der barrierefreien Bushaltestellen der APG
in den einzelnen Korridoren zu sehen.
Ich möchte heute eine Gesamtschau über die Situation im Landkreis über barrierefreie Haltestellen mit folgender Tabelle
(Folie 8 Übersicht) geben:
Gemeinden |
Haltestellen insgesamt |
barrierefreie Haltestellen |
Gemeinden ohne eine barrierefreie Haltestelle |
geplante Haltestellen |
keine Planungen |
52 |
714 |
223 |
13 |
15 |
475 |
In den 52 Kommunen mit Ortsteilen gibt es insgesamt 714 Haltestellen (Quelle
APG). Davon sind 223 barrierefrei ausgebaut, für weitere 15 läuft die Planung
(in der Summe ca. ein Drittel). Für den größten Teil, nämlich für 475 ist kein
Ausbau angedacht. Natürlich lassen sich aus den verschiedensten Gründen nicht
alle Haltestellen barrierefrei umgestalten.
(Folie 9/ Bild Bus)
Aber dass es im Landkreis noch 13 Gemeinden gibt,
die noch nicht einmal eine einzige barrierefreie Bushaltestelle haben, stimmt
doch sehr nachdenklich! Ich muss erneut daran erinnern: Was haben Menschen mit
Handicaps, oder auch Ältere und Familien mit Kinderwägen davon, wenn Ausbau und
Vertaktung verbessert werden, wenn sie aber im Wohnort oder zum Teil auch in
Würzburg nicht mal ein- und aussteigen können?!
Sanierung/Neubau der Förderschulen (Folie10
Rupert-Egenberger-Schule)
Zu den geplanten großen Investitionen gehören
Sanierung bzw. Neubau der Förderschulen. Im Zusammenhang mit Inklusion und
Schulen gibt es nicht wenige, die eine Abschaffung der Förderschulen fordern.
Ich habe dazu eine differenzierte Einstellung. Inklusion und Förderung
behinderter Kinder und Jugendlicher sollte meiner Meinung nach an verschiedenen
Lernorten möglich sein.
Klar, an der Regelschule. Dazu müssen aber dann
unbedingt die notwendigen räumlichen Voraussetzungen geschaffen und das
entsprechend ausgebildete und notwendige Lehrpersonal vorhanden sein.
Oder an entsprechend ausgestatteten Förderschulen zur bestmöglichen
individuellen Förderung. Deswegen halte ich es als Behindertenbeauftragter des
Landkreises für notwendig und für gut, dass wir für die Kinder diese Förder-
und Lernorte erhalten bzw. ausbauen werden.
Damit ermöglichen wir auch den Eltern eine Wahl- und Entscheidungsfreiheit zur
gewünschten Beschulung ihrer Kinder. Dass wir hierbei allerdings akuten
Handlungsbedarf haben, ist selbstredend!
Anbau/Neubau des
Landratsamtes (Folie 11 / Bild)
Wenn wir uns heute mit Anbau/Neubau des Landratsamtes beschäftigen, dann
gilt mein Augenmerk einer Gesamtschau dieses Vorhabens. Mit dem Neubau allein
ist es nicht getan, auch der Altbau muss ertüchtigt werden. Zur Verbesserung
gehören neben der Barrierefreiheit u.a. auch ein erkennbares Leitsystem; auch
müssen die Belange von Schwerhörigen und Gehörlosen stärker berücksichtigt
werden.
Für das Amt der Zukunft gilt als Ziel, möglichst
auch digitale Barrierefreiheit anzustreben. Und für Menschen mit kognitiven
Einschränkungen müssten künftig Informationen verständlicher und in leichter
Sprache erfolgen. So leisten wir als Behörde und Dienstleister einen Beitrag
zur Inklusion von Menschen mit und ohne Behinderung.
5.
UN-Behindertenrechtskonvention –
Perspektivenwechsel und Neues Verständnis (Folie 12 / Bild 2009 UN)
Nach den angesprochenen Themen komme zu meinem letzten Punkt. Ich
erinnere an die UN-Behindertenrechtskonvention, die 2009 in Deutschland in
Kraft getreten ist. Deutschland hat sich damit verpflichtet, Selbstbestimmung,
gleichberechtigte Teilhabe, Partizipation und Inklusion in allen
Lebensbereichen in den Blick zu nehmen.
Auf die Frage: Was ist „Behinderung“? sind die Definitionen
unterschiedlich.
(Folie 13 / Bild Perspektivenwechsel) Diese Darstellung will es
augenfällig machen.
„Behindert ist man nicht, behindert wird man.“ Dieser Satz, diese
Beschreibung der Behindertenbewegung sagt einen Perspektivenwechsel an. Er will
Augen öffnen und Bereitschaft zur Veränderung einfordern. Menschen mit
Behinderung fühlen sich vor allem dadurch „behindert“, dass sie nicht
uneingeschränkt und gleichberechtigt teilhaben können. Behinderung wird nicht
mehr als individuelles Problem, als körperliches Defizit verstanden, sondern
als ein Umstand, der vor allem aufgrund von Umfeldbarrieren entsteht. Es geht
nicht mehr um die Defizite des einzelnen.
(Folie 14 / Bild Sport) Dieses soziale Modell nimmt die
Lebensbedingungen in den Blick. Die Verantwortung, Zugänge zu schaffen, liegt
damit bei der Gesellschaft. Nicht der einzelne behinderte Mensch muss sich z.B.
einer Institution anpassen, was er oftmals gar nicht kann, sondern die
Einrichtung/Körperschaft muss die Bedingungen schaffen.
Und damit sind wir, liebe Kollegen und Kolleginnen auch bei uns im
Landkreis und in den Gemeinden. Menschen mit Behinderung sind keine
Bittsteller, die an die Tür von Behörden klopfen müssen. Mit dem Grundgesetz,
Art. 3 „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“,
haben sie einen Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe.
Um weitere Verbesserungen zu erreichen, sollten wir deshalb ernsthaft
darüber nachdenken, für den Landkreis zusammen mit den Gemeinden einen Aktionsplan
Inklusion zu erstellen.
(Folie 15 Zitat)
Zum Abschluss meines Berichtes möchte ich erneut den früheren
Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zitieren:
Nicht behindert zu sein ist wahrlich kein
Verdienst, sondern ein Geschenk, das jedem von uns jederzeit genommen werden
kann.
Ich bedanke mich bei allen, die sich in ihrem Verantwortungsbereich für
die Belange für Menschen mit Behinderung einsetzen und auch bei denen, die mich
bei meiner Arbeit als Behindertenbeauftragter des Landkreises unterstützen.“
(Folie 16 „Danke“)
Debatte:
Kreisrat Labeille weist darauf hin,
dass laut Rechtslage zum 01.01.2022 der ÖPNV barrierefrei sein müsse. In diesem
Zusammenhang habe er feststellen müssen, dass manche Haltestellen zwar
barrierefrei seien, die Zuwegung zur Haltestelle jedoch nicht barrierefrei sei.
Als Beispiel nennt er die Haltestelle an der Staustufe Goßmannsdorf. Er fragt
nach, wie viele barrierefreie Haltestellen auch barrierefrei zugänglich seien.
Behindertenbeauftragter
Joßberger äußert sich, dass er die Frage als ehrenamtlich tätiger Behindertenbeauftragter
nicht beantworten könne. Deshalb sei es auch so wichtig, dass es in den Kommunen
und Gemeinden örtliche Behindertenbeauftragte gebe, die solche Situationen vor
Ort besser kennen und auf die Probleme aufmerksam machen können, um mit den
Bürgermeistern und der Verwaltung vor Ort eine Lösung zu finden. Wichtig wäre
in diesem Zusammenhang auch, solche Themen immer wieder bei den
Dienstbesprechungen mit den Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen anzusprechen.
Zur weiteren
Veranlassung an Behindertenbeauftragten – Herrn Joßberger
Zur Kenntnis an