Beschluss: einstimmig beschlossen

Anlage/n:        

Präsentation

Teilplan: „Systemsprenger“ - Eine Herausforderung für die Jugendhilfe im Landkreis Würzburg

 

 

Sachverhalt:

 

Die Jugendhilfeplanung des Amtes für Jugend und Familie hat sich in den Jahren 2021 und 2022 mit dem Thema „Systemsprenger - Eine Herausforderung für die Jugendhilfe“ befasst.

 

Die Planungsbeteiligten waren:

  • Frau Kreisrätin Wild (Vorsitzende des Unterausschusses Jugendhilfeplanung)
  • Herr Prof. Adams (Diakonisches Werk)
  • Frau Müller, Herr Prof. Dr. Vloet (KJPPP)                 
  • Herr Dr. Beck (Sozialdienst katholischer Frauen)
  • Herr Feiler, Herr Dr. Hummler (Kolping Mainfranken)
  • Herr Fritz (Jugendhilfe Creglingen)
  • Frau Richardt, Herr Kunze (Fachbereich Jugend und Familie Stadt Würzburg)           
  • Herr Adler, Frau Bordon-Dörr (Amt für Jugend und Familie Landkreis Würzburg, ASD)  
  • Frau Lange, Herr Rostek (Jugendhilfeplanung Landkreis Würzburg)

 

 

Die Bezeichnung „Systemsprenger“ ist kein Fachbegriff, eignet sich deshalb für jedwede Auslegung, bedarf aber einer kritischen Würdigung:

 

Kinder sprengen keine Systeme, wohl aber den Rahmen, den die Jugendhilfe ihnen zur Verfügung stellt. Systemsprenger sind nicht Auslöser, sondern Leidtragende nicht ausreichend geeigneter Systeme. Je nach Blickwinkel gibt es unterschiedliche Interpretationen zur Frage:

  • Subjektive Perspektive (vom Kind/Jugendlichen aus gesehen): Ihr Verhalten zeigt dem professionellen System, insbesondere den Fachkräften Grenzen auf, für die keine Lösungen in Sicht sind.
  • Strukturelle Perspektive (vom Hilfesystem aus gesehen): Es gibt keine geeigneten Angebote und Einrichtungen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen

 

Dementsprechend unterscheidet sich die inhaltliche Befassung:

"Systemsprenger“ (Verhaltensmerkmale)

  • sind mehrfach auffällige und deshalb schwer vermittelbare Kinder und Jugendliche in der Jugendhilfe
  • sind gekennzeichnet von stark ausgeprägtem aggressiven, dissozialen Verhalten
  • sind in ihrer aktuellen Situation nicht gruppenfähig
  • sind therapeutisch kaum noch zu erreichen.
  • sind ein „Hoch-Risiko-Klientel“

 

In einer eher pragmatischen Definition sind Systemsprenger junge Menschen, für die es zum notwendigen Zeitpunkt keine geeigneten Hilfen gibt.

 

Folgerichtig unterscheiden sich die Bedarfsaussagen und die Empfehlungen für zukünftige Maßnahmenplanungen.

 

 

In der Folge werden von Herrn Rostek und Herrn Adler entscheidungsrelevante Inhalte aus dem der Einladung beigefügten Entwurf vorgestellt.

 

Tatsächlich haben sich in den letzten Jahren regional Aktivitäten der Träger ergeben, die Angebotsstruktur zu verbessern. Bedarfe sieht die Planungsgruppe jedoch für folgende Inhalte:

 

 

1.     Fallperspektive

 

Kinder und Jugendliche sprengen keine Systeme, sie sind aufgrund ihres schwierigen Verhaltens sozusagen „aus dem System aussortiert“. Deshalb ist es erforderlich, auch die Subjektperspektive des betroffenen Kindes oder Jugendlichen einzubeziehen.

 

Empfehlungen und Bedarf:

Ziel sollte es sein, die Spirale des ständigen Wechsels, des Hin- und Herschiebens zwischen den Systemen Jugendhilfe, Gesundheitshilfe und Behindertenhilfe und der damit einhergehenden ständigen Beziehungsabbrüche zu durchbrechen.

 

Deshalb müssen in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung immer zuerst einrichtungsinterne oder koordinierte einrichtungsübergreifende Lösungen zum Tragen kommen um eine Entlassung oder Inobhutnahme zu vermeiden.

 

Hilfreich sind sogenannte „Auszeiten“, die mit Unterstützung besonders geschulter Pädagogen (z.B. Erlebnispädagogen) ermöglicht werden können. Das neue SGB VIII bietet nunmehr ausdrücklich die Möglichkeit der Kombination verschiedener Hilfen zur Erziehung.

 

Unklar ist die Situation, wenn der Betroffene jegliche Hilfe kategorisch ablehnt. Welche Bedeutung messen wir der Selbstbestimmung und Beteiligung des betroffenen (älteren) Jugendlichen bei. Zieht eine Hilfeablehnung gleich eine „Entmündigung in der Entscheidung“ nach sich? Wie weit kann Jugendhilfe gehen und wieviel kann sie zulassen, um dem Willen des betroffenen Hilfeempfängers zu entsprechen? Dahinter verbirgt sich auch eine jugendhilfeinterne Werthaltung.

 

 

2.     Inobhutnahme

 

  • Inobhutnahme als notwendige und akute Unterbringung zum Kinderschutz im Falle einer Kindeswohlgefährdung ist nicht explizit eine Reaktion auf die Systemsprenger, sondern legt eher eine grundsätzliche Versorgungslücke offen. Immer häufiger müssen Kinder und Jugendliche aufgrund mangelnder Regelplätze erst einmal in Obhut genommen werden. (auch z.B nach Entlassung aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie). In diesem Zusammenhang hat die Planungsgruppe grundsätzlich die Lage der Inobhutnahme im Raum Würzburg betrachtet. Insbesondere aufgrund der Schließung der Einrichtung für Mädchen bei St. Ludwig ist ein erheblicher Fehlbestand entstanden.
  • Die Inobhutnahme von Kleinkindern unter 6 Jahren ist eine weitere große Herausforderung. Diese erfolgte bisher über Bereitschaftspflegefamilien. Da es zunehmend schwierig bis unmöglich ist, Bereitschaftspflegefamilien zu finden, ist eine Versorgungslücke entstanden, die durch stationäre Plätze in Heimeinrichtungen nur bedingt und eher nicht zufrieden stellend gedeckt werden kann.
  • Ähnliche Versorgungslücken gibt es bei der Inobhutnahme von Kindern mit Behinderung

 

Bedarf

- Es fehlt an Plätzen bei einem akuten Bedarf (Planungslücke)

- Ausbau regionaler Plätze für Inobhutnahme

- Ersatz für die Schließung der Inobhutnahmestelle für Mädchen St. Ludwig

- Klärung der Inobhutnahme von Kleinkindern aufgrund fehlender Bereitschaftspflegeplätze

- Bereitstellung geeigneter Inobhutnahmeplätze für Kinder mit Behinderung

- Absprache mit Einrichtungen der Behindertenhilfe, ggf. im Verbund mehrerer Jugendämter

 

Ein Mangel an Inobhutnahmeplätze kann zur Folge haben, dass der Kinderschutz nicht mehr ausreichend sichergestellt werden kann. Insbesondere das Fehlen von Plätzen für Mädchen unter 14 Jahren wirft die Frage auf, inwiefern der Landkreis selbst eine eigene Inobhutnahmestelle einrichten soll.

 

 

3.     Regionale und interdisziplinäre Kooperation/Netzwerk

 

Die geringe Fallzahl einerseits und die hohe Komplexität und Heterogenität der vorkommenden Fälle andererseits gibt einzelnen Jugendämtern wenig Handlungsspielräume. Aus diesem Grund ist eine regionale Kooperation erforderlich.

 

Bedarf

- Intensive regionale Zusammenarbeit des Landkreises Würzburg insbesondere mit der Stadt

   Würzburg, ggf. mit den umliegenden Landkreisen

- Tragfähiges regionales Netzwerk aufbauen und pflegen (z.B. überregionaler Verbund)

- Verstärkt regionale Angebote schaffen:

   - Bereitstellung von Inobhutnahmeplätzen und Intensivplätzen u.U. auch in Trägerschaft 

     der öffentlichen Jugendhilfe (Einrichtung im Betrieb des Jugendamtes).

   - Vorhalten von Ressourcen in der Region im Zusammenwirken von Nachbarkommunen:

   - Klärung der Möglichkeit, Plätze vorzuhalten (Finanzierungsfrage)

- Angebot in Form eines regionalen Krisendienstes im Zusammenwirken mehrerer

  beteiligter Kommunen

- Verbesserung der Personalkontinuität beim Fallmanagement (ASD)

 

 

 

Beschlussvorschlag:

 

Der Jugendhilfeausschuss nimmt den Teilplan „Systemsprenger - Eine Herausforderung für die Jugendhilfe“ zustimmend zur Kenntnis und beauftragt das Amt für Jugend und Familie, schrittweise Vorschläge für die Umsetzung zu erarbeiten und bei Bedarf dem Jugendhilfeausschuss zur weiteren Beratung vorzulegen.

 

 

 

Debatte:

 

Herr Rostek erläutert anhand einer Präsentation den Sachverhalt.

 

In der Diskussion wird u.a. die Gewinnung von Personal bzw. Pflegefamilien angesprochen.

Die Inobhutnahme sei Grundaufgabe des Landkreises. Es sei auch zu überlegen, ob diese eventuell in Zusammenarbeit mit Nachbarlandkreisen möglich sei.

 

Um vermehrten Wohngruppenwechsel bzw. Abbruch bei Systemsprengern entgegen zu stehen könnten diese in stabilen Wohngruppen untergebracht werden. Soziale Kontakte könnten besser und langfristiger aufgebaut werden.

 

Herr Adler teilt mit, dass viel Werbung für die Gewinnung von Pflegefamilien gemacht wird. Die Resonanz ist derzeit sehr gering.

 

Prof. Adams berichtet von dem länger laufenden ISE Projekt (Lebensgemeinschaft in Finnland) der Diakonie. Hierbei handelt es sich um ein Jahresprojekt, bei dem der Aufenthalt von Jugendlichen in Begleitung von pädagogischen Fachkräften in Finnland auf Bauernhöfen stattfindet.

Weiterhin wird angemerkt, dass es sehr wichtig sei, für das Arbeitsfeld der Jugendhilfe zu werben, um Mitarbeitende zu finden.


Beschluss:

 

Der Jugendhilfeausschuss nimmt den Teilplan „Systemsprenger - Eine Herausforderung für die Jugendhilfe“ zustimmend zur Kenntnis und beauftragt das Amt für Jugend und Familie, schrittweise Vorschläge für die Umsetzung zu erarbeiten und bei Bedarf dem Jugendhilfeausschuss zur weiteren Beratung vorzulegen.


Zur weiteren Veranlassung an FB 31 c

 

Zur Kenntnis an GB 3